In der Nacht (German Edition)
Also, aus dem Weg, ihr Schwuchteln.« Er grinste Joe an. »Gleich geht’s los.«
Joe und die anderen zogen sich in den Tunnel zurück. Im selben Moment gab Dion auch schon den ersten Schuss auf die Türangeln ab. Ohrenbetäubender Lärm hallte durch den unterirdischen Gang, doch Dion hielt nicht inne, sondern feuerte gleich ein zweites und dann ein drittes Mal, während Metallteile durch die Luft zischten und von den Wänden prallten. Falls sich Masos Leute noch im Hotel befanden, waren sie jetzt mit Sicherheit unterwegs, dachte Joe. Das Getöse hatte man garantiert noch im neunten Stock gehört.
»Kommt hoch«, rief Dion. »Wir sind durch.«
Carmine hatte es nicht überlebt. Dion zog seine Leiche aus dem Weg und lehnte ihn in sitzender Position an die Wand, während die anderen die Leiter hinaufkamen. Ein Stück Metall war durch Carmines Auge in sein Gehirn gedrungen; mit dem anderen starrte er sie blicklos an, seine unangezündete Zigarette nach wie vor zwischen den Lippen.
Sie rissen die Tür aus den Angeln, betraten den Heizungsraum und marschierten durch die Destillerie in die Küche. In der Tür zwischen der Küche und dem Büro des Geschäftsführers befand sich ein rundes Fenster, durch das man in einen kleinen, mit Linoleum ausgelegten Durchgang sah. Die Tür des Büros stand offen. Offenbar hatten sich Masos Leute noch kürzlich dort aufgehalten; auf dem Tisch standen Kaffeetassen, eine leere Flasche Whiskey und mehrere überquellende Aschenbecher.
Dion spähte durch die Scheibe und warf Joe einen Blick zu. »Ich habe eh nie geglaubt, dass ich besonders alt werde.«
Joe atmete tief aus und öffnete die Tür. Als sie das Büro hinter sich gelassen hatten und an der Rezeption herauskamen, war Joe klar, dass sie niemanden antreffen würden. Niemand lauerte ihnen auf; das Hotel war schlicht leer. Der perfekte Ort für einen Hinterhalt wäre der Heizungskeller gewesen, und auch in der Küche hätten Masos Leute sie womöglich eiskalt erwischt. Das Foyer aber war ein logistischer Alptraum – Dutzende von Möglichkeiten, um sich zu verschanzen, weiträumig zu verteilen oder auf die Straße zu fliehen.
Sie schickten ein paar Mann mit dem Fahrstuhl in die neunte Etage und ein paar weitere über die Treppe nach oben, nur für den Fall, dass Maso irgendeinen genialen Plan ausgeheckt hatte, den Joe nicht voraussehen konnte. Die Männer kehrten kurz darauf zurück und berichteten, dass sie im neunten Stock niemanden gefunden hatten – außer den Leichen von Sal und Lefty, die in Zimmer Nummer neun und zehn auf den Betten lagen.
»Bringt sie herunter«, sagte Joe.
»Ja, Sir.«
»Und holt bitte auch Carmine.«
Dion zündete sich eine Zigarre an. »Ich kann’s nicht glauben, dass ich Carmine umgenietet habe.«
»Das warst nicht du«, sagte Joe. »Sondern ein Querschläger.«
»Jetzt hör bloß auf mit der Haarspalterei«, sagte Dion.
Joe steckte sich eine Zigarette an und gestattete es Pozzetta, der als Sanitäter bei der Armee gewesen war, sich die Wunde an seinem Arm noch einmal genauer anzusehen.
»Das muss behandelt werden, Boss«, sagte Pozzetta. »Außerdem brauchst du was gegen die Schmerzen.«
»Dann hol Medikamente, oder am besten gleich den Doc«, sagte Joe. »Und nimm den Hinterausgang.«
»Ja, Sir«, sagte Pozzetta.
Sie tätigten ein paar Anrufe, und kurz darauf trafen sechs Beamte des Tampa Police Departments ein, die auf ihrer Gehaltsliste standen. Einer von ihnen rückte mit einem Leichenwagen an, und Joe nahm Abschied von Sal, Lefty und Carmine Parone, der ihn erst anderthalb Stunden zuvor aus der Zementwanne befreit hatte. Sals Tod aber erschütterte ihn am meisten; erst jetzt wurde ihm klar, wie viel ihm sein Chauffeur und Leibwächter bedeutet hatte. Unzählige Male hatte er ihn in den vergangenen fünf Jahren in sein Haus zum Abendessen eingeladen, ihm manchmal spätabends noch ein Sandwich zum Wagen hinausgebracht. Er hatte ihm sein Leben anvertraut, und Gracielas ebenso.
Dion legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Ich weiß, wie sehr dir das unter die Haut geht.«
»Es war nicht okay, wie wir mit ihm umgesprungen sind.«
»Wovon redest du?«
»Von unserem kleinen Disput in meinem Büro. Wir haben ihn behandelt wie einen Fußabtreter.«
»Leider.« Dion nickte ein paarmal und bekreuzigte sich. »Verdammt, warum haben wir das überhaupt getan?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Joe.
»Irgendeinen Grund muss es ja gegeben haben.«
»Ich wünschte, es hätte einen gegeben«,
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