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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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schlechter Witterung etwa. Aber warum mussten Sie ihn vier Tage
vorziehen?
Einige unserer Partner haben es nicht mehr rechtzeitig hierher geschafft.«
    Casper spürte, wie die letzte Tablette sich in einem neuen Schwall Magensäure auflöste. »Das ist eigentlich ganz einfach.« Er unterbrach sich, um sein Taschentuch herauszuholen und sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. »Es hat mit dem Startfenster zu tun, von dem ich eben gesprochen habe. Die Umlaufbahn der Raumstation weist eine Inklination von einundfünfzig Komma sechs Grad auf. Wenn Sie sich ihre Flugbahn auf einer Karte ansehen, erkennen Sie eine Sinuswelle, die zwischen einundfünfzig Komma sechs Grad Nord und einundfünfzig Komma sechs Grad Süd oszilliert. Wegen der Erdrotation überfliegt die Station bei jeder Umkreisung eine andere Stelle auf der Karte. Im Übrigen ist die Erde nicht vollkommen kugelförmig, was eine weitere Komplikation bedeutet. Wenn diese orbitale Flugbahn Ihre Abschussbasis schneidet, dann ist der Zeitpunkt für einen Start am günstigsten. Nachdem wir all diese Faktoren berücksichtigt hatten, blieben noch diverse Optionen für den Starttermin übrig. Dann muss immer über Tag- oder Nachtstart entschieden werden. Zulässige Startwinkel sind zu berücksichtigen. Die neuesten Wetterdaten …«
    Die Augen seiner Zuhörer wurden allmählich glasig. Sie konnten ihm längst nicht mehr folgen.
    »Jedenfalls«, schloss Casper mit einem Gefühl tiefer Erleichterung, »stellte sich heraus, dass sieben Uhr heute früh der beste Termin ist. Das leuchtet Ihnen doch sicherlich ein, nicht wahr?«
    Lucas schien sich zu schütteln, wie ein Hund, den man aus einem Nickerchen aufschreckt. »Ja, natürlich.«
    »Trotzdem wäre ich gerne näher dran«, sagte Rashad mit Wehmut in der Stimme. Er blickte zu der Rakete hinüber, diesem stupsnäsigen kleinen Leuchtpunkt am Horizont. »Aus dieser Entfernung sieht sie ja nicht eben beeindruckend aus, was? So klein.«
    Casper lächelte, obwohl er spürte, wie sich sein Magen in nervöser Übersäuerung selbst zu verdauen begann. »Nun, Sie wissen ja, wie es heißt, Mr. Rashad. Nicht auf die Größe kommt es an, sondern auf das, was man damit anstellt.«
    Das ist die letzte Chance,
dachte Jack. Ein Schweißtropfen rann über seine Schläfe und wurde vom Futter seines Helms aufgesogen. Er wollte seinen rasenden Puls beruhigen, doch sein Herz war wie ein wild gewordenes Tier, das aus seinem Brustkorb auszubrechen versuchte. So viele Jahre hatte er nur von diesem Augenblick geträumt: festgeschnallt im Pilotensitz, das Visier geschlossen, das Sauerstoffventil geöffnet. Der Countdown, der auf »Zero« zutickte. In seinen Träumen hatte Angst keine Rolle gespielt, nur Erregung und freudige Erwartung. Er hatte nicht damit gerechnet, vor Angst wie gelähmt zu sein.
    »Sie sind bei T minus fünf Minuten. Der Zeitpunkt zum Aussteigen wäre jetzt.« Es war die Stimme von Gordon Obie, mit dem er über Kabel verbunden war. Während der Vorbereitungen hatte Gordon Jack immer wieder die Gelegenheit gegeben, von seinem Vorhaben Abstand zu nehmen. Während des Fluges von White Sands nach Nevada. In den frühen Morgenstunden, als Jack im Hangar von Apogee Engineering den Raumanzug angelegt hatte. Und schließlich auf der Fahrt durch die stockfinstere Wüste zur Startrampe. Dies war Jacks allerletzte Gelegenheit.
    »Noch können wir den Countdown stoppen«, sagte Gordon, »und die ganze Mission abbrechen.«
    »Ich bin nach wie vor klar zum Start.«
    »Dann ist das hier unser letzter Sprechkontakt. Es darf keine Funkmeldung von Ihrer Seite geben, keinen Downlink zur Erde, keinen Kontakt mit der ISS, sonst fliegt alles auf. Sobald wir Ihre Stimme hören, brechen wir die ganze Mission ab und holen Sie zurück.«
Wenn wir das dann noch können,
lautete der unausgesprochene Zusatz.
    »Habe verstanden.«
    Es war einen Moment still. »Sie müssen es nicht tun. Niemand erwartet es von Ihnen.«
    »Bringen wir es hinter uns. Zünden Sie einfach die verdammte Lunte an, okay?«
    Gordon antwortete mit einem deutlich vernehmbaren Seufzen. »Okay Sie sind startklar. Wir haben T minus drei Minuten und zählen weiter.«
    »Danke, Gordie. Für alles.«
    »Viel Glück und Gottes Segen, Jack McCallum.«
    Die Verbindung brach ab.
    Das war vielleicht die letzte menschliche Stimme, die ich in meinem Leben gehört habe,
dachte Jack. Von diesem Moment an würde die Bodenkontrolle von Apogee nur noch Steuerdaten an die Bordcomputer des Orbiters

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