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In der Stille der Nacht - Thriller

In der Stille der Nacht - Thriller

Titel: In der Stille der Nacht - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denise Mina
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er niemals mehr zur Oberfläche würde schwimmen können.
    Er klappte zusammen, ließ sich auf die Knie fallen. Presste sein Gesicht zwischen die Knie, bleckte die Zähne und biss sich fest in die Haut, spürte aber nichts. Die Hände streckte er langsam vor sich aus. Er ertastete den Rost, der sich in papierartigen
Schichten löste, aber bei der geringsten Berührung seiner Fingerspitzen abbröckelte.
    Durch die Schwärze rann ihm das dunkelrote Blut auf dem Sari seiner Mutter entgegen und er hatte nicht die Kraft auszuweichen. Er schloss die Augen und spürte, wie sich das warme Blut über seinen Kopf ergoss, über seinen Rücken und seinen Hintern. Von ihrem Salz umfangen fuhr er fort zu atmen. In der Welt gab es keine Gnade mehr für ihn.
    Er konnte sich laut durch die Nase atmen hören, er keuchte wie ein Hund. Rost zerbröselte zu Staub, er konnte es riechen. Scherben kratzten am Stoff seines Schlafanzugs, schnitten ihm in die weiche Haut seiner Knie und blieben stecken.
    Sein Leben hatte keinen Sinn. Es war unerträglich. Die letzten drei Jahrzehnte waren leer und verschwendet.
    Hände suchten in der öligen Dunkelheit den Boden ab, Fingerspitzen tasteten leichtfertig über das rostige Eisen, zogen es ab und zerbröselten es, immer wieder wollte er es spüren, scharfe Splitter stachen ihm unter die Nägel, in die Handflächen, bis er eine Eisenscherbe fand, die stabil schien.
    Er hielt sie fest, drückte mit den Daumen in die Mitte, versuchte sie mit beiden Händen zu verbiegen, aber sie war hart. Wie von einem Knochenfossil fiel die Erde drumherum ab. Er setzte sich auf, starrte in die Dunkelheit und stellte sich den Gegenstand in seiner Hand vor. Vorsichtig tastend säuberte er ihn, machte sich mit jeder Erhebung auf der Oberfläche vertraut, suchte vergeblich eine fehlerhafte Stelle. Er spuckte in die Hand und säuberte ihn, trocknete ihn an seinem Schlafanzugoberteil.
    Es war so lang wie ein Bleistift, hatte eine gezackte Kante und eine scharfe Spitze. Ein Messer. Beharrliche Schmerzen
quälten ihn an Knien und Fingern, aber er ließ sich nicht ablenken. Er streckte die linke Hand in die geschmolzene Dunkelheit und zog den Ärmel hoch. Langsam, als wäre es ein Ritual, fand er mit den Fingern die Sehnen an seinem Handgelenk und zog das Metall fest über die Haut.
    Feuchtwarm tropfte es aus ihm heraus ins Leere. Er hielt die rechte Hand darunter und spürte, wie ihm das ersehnte Blut über die Finger rann, dazwischen hindurchsickerte und tropfte und die staubige Erde Ugandas benetzte.
    Aamir reckte sein Angesicht dem Gott entgegen, der geduldet hatte, dass er an seinem Leben vorbeilebte, dass er Kinder hatte und Arbeit, aß, eine Million verfluchte Mahlzeiten, dass er schlief und ein Haus einrichtete und nach immer mehr strebte, sinnlos immer mehr erreichen wollte.
    Er wandte sein Gesicht gen Himmel und sprach ein letztes stilles Gebet: »Du verfluchtes gemeines Arschloch.«

    Mr Kaira hatte dreißig Sekunden lang auf den Bildschirm gesehen, die Andeutung eines Lächelns stand starr auf seinem Gesicht, mit dem Zeigefinger klopfte er im Rhythmus eines langsamen Pulses auf die vollkommen freie Tischplatte. Er richtete sein Lächeln auf Omar und etwas verzögert folgte auch sein Blick. »Das System ist heute langsam«, erklärte er und wandte sich wieder ab. Das Licht auf seinem Gesicht wurde hellblau, er stieß ein leises »Ah!« aus und betrachtete stirnrunzelnd die Zahlen auf dem Bildschirm.
    Seit er zehn Jahre alt war, kam Omar hierher. Die Bank befand sich im Westen der Stadt, man fuhr vorbei an all den Halal-Schlachtern und dem Laden mit den Saris und dem mit den Süßigkeiten, vor der Universität auf dem Hügel,
inmitten von Studentenkneipen, Cafés und Second-Hand-Buchläden.
    Jede zweite Woche hatte ihn sein Vater hierher mitgenommen, damit Omar sah, wie er Geld einbezahlte und mit Mr Kaira sprach. Mr Kaira, dessen ölige Frisur sich niemals mit der Mode änderte, dessen kleiner Kragen immer steif an seinem dicken Hals stand und dessen Lächeln niemals starrer oder weniger starr wirkte. Mr Kaira war eine ewige Konstante. Die Inneneinrichtung blieb ebenfalls immer dieselbe: moosgrüne Wände, Rauchglas zwischen dem Tresen und Mr Kairas Büro. Die Stühle waren durch neuere ausgetauscht worden, aber es waren genau dieselben Modelle. Vor Omars Zeit hatte es einen offenen Schalter gegeben, doch dieser war nach einem Überfall durch eine kugelsichere Scheibe abgeschirmt worden.
    Das gesamte Geld der

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