In Furcht erwachen
groß, allerdings nicht zu groß
für ihr Gesicht. Grant hatte nicht gewußt, daß es im Westen
solche Mädchen gab. Bisher hatte er sie alle für klobige, ver‐
schwitzte Geschöpfe mit schlechtem Teint gehalten.
Er ertappte sich dabei, daß er dastand und sie anstarrte, und setzte sich rasch hin, um geschäftig die Asche von seiner Zigarette zu streifen.
«Mein Name ist John Grant», sagte er und bedauerte
sein ungehobeltes Auftreten.
Sie lächelte förmlich und ließ ihn ein Weilchen warten, bevor sie sagte: «Ich bin Janette Hynes.»
Beide verfielen in Schweigen, das Mädchen lehnte sich
zurück, legte den Kopf gegen die Polsterung des Stuhles und streckte ihre Arme aus, bis ihre Finger auf den Knien ruhten. Es war eine Reaktion auf die Hitze oder die Lange-weile wegen Grants Anwesenheit oder beides.
Grant wünschte sich, er wäre entweder noch betrunke‐
ner oder aber nüchtern. In seinem Zustand konnte er der Situation einfach nicht gerecht werden. Schweigend saß er da und starrte verzweifelt auf seine Zigarette.
Sie blieben vielleicht drei Minuten lang so sitzen, dann kam Hynes mit zwei großen Gläsern Bier herein.
«Auf ein Schnelles vor dem Essen», sagte er.
Grant nahm das Glas und protestierte erneut dagegen,
sich zum Essen einladen zu lassen, aber seine Einwände
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wurden von Hynes übertönt, während Janette still aus dem Zimmer ging.
Hynes’ einzige Reaktion darauf war, sich auf den Stuhl
zu setzen, den sie frei gemacht hatte. Da er nun ebenfalls schwieg, kam Grant der Verdacht, daß Mrs. Hynes vielleicht
nicht so fügsam reagiert hatte, wie ihr Mann erwartete.
Grant war gespannt, wie die Frau aussah, die mit
diesem merkwürdigen kleinen Mann Janette gezeugt hatte.
Sie mußte ein spätes Kind gewesen sein, es sei denn,
Mrs. Hynes war viel jünger als ihr Mann.
«Arbeitet Ihre Tochter in Yabba, Tim?»
«Sie ist Krankenschwester.»
«Ist sie Ihre jüngste?»
«Ja. Die andere ist dreißig.» Hynes schien nicht mehr so begeistert von seiner Tochter, wie er es noch im Hotel gewesen war.
Janette streckte ihren Kopf zur Tür herein und sagte:
«Mutter möchte, daß ihr jetzt zum Essen kommt.»
Hynes und Grant tranken schnell ihr Bier aus und gin‐
gen durch den Flur in den hinteren Teil des Hauses.
Im Eßzimmer war Mrs. Hynes dabei, den Tisch zu dek‐
ken, und sie sah einigermaßen freundlich aus, als Hynes Grant hereinführte. Sie war eine quadratisch gebaute Frau, jünger als Hynes, allerdings nicht viel.
Sie fegte Grants Entschuldigung zur Seite und setzte ihn an den Tisch, wo das teuer aussehende Besteck penibel genau auf dem weißen, gestärkten Tischtuch angeordnet war.
Janette saß am einen Ende des Tisches, ihre Mutter am
anderen, Hynes und Grant saßen an den Seiten. Die andere
Tochter war nicht aufgetaucht.
Hynes hörte während des ganzen Essens nicht auf zu re‐
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den. Gelegentlich lachte Mrs. Hynes höflich und warf an passenden Stellen «Meine Güte, meine Güte!» ein, zeigte
sonst aber weder an Grant noch an Hynes das geringste
Interesse. Janette sagte nichts. Grant gewann den Eindruck,
daß Hynes zwar als Familienoberhaupt anerkannt und ein
Wunsch von ihm mehr oder weniger Gesetz war, daß aber
niemand viel von ihm hielt. Er war ähnlichen Konstellationen schon in anderen Familien im Westen begegnet.
Das Essen entsprach dem Standard aus Steak, Kartoffeln
und unkenntlichem Gemüse aus der Dose, aber es war gut zubereitet, und Grant, dessen Appetit vom Bier entflammt worden war, aß so rasch, daß er sich erst dabei ertappte, die
Sauce aufzuwischen, als Mrs. Hynes fragte: «Möchten Sie
noch etwas, Mr. Grant?»
«Nein. Nein, danke. Eine wirklich ausgezeichnete
Mahlzeit, danke», murmelte er und vermied es, Janette anzusehen.
Zum Nachtisch gab es eine Art Vanillepudding, danach
führte Hynes Grant gleich mit ein paar Flaschen ins Wohn‐
zimmer, während Janette und ihre Mutter den Tisch ab‐
räumten.
Nach dem Essen fühlte sich Grant etwas selbstsicherer,
und er beschloß, nichts mehr zu trinken. Trotzdem nahm
er ein Glas von Hynes, um sich daran festzuhalten, und be‐
diente sich aus dem Zigarettenkästchen auf dem Tisch.
«Also», sagte er zu seinem Gastgeber, «ich denke, ich
werd mich wohl besser auf den Weg machen.»
«Auf den Weg machen? Wohin?»
«Na ja, ich ... nun ... ich denke, ich sollte Arbeit suchen.»
«An einem Samstag werden Sie keine Arbeit finden.»
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«Nein, wahrscheinlich nicht, aber ich, also
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