In Gottes Namen
»Waren Sie mit dieser jungen Frau liiert? Mit Shelly Trotter?«
Ich nicke.
»Langs Tochter. Oh je.« Sie sieht mich direkt an. »Paul, bitte sagen Sie mir, dass Harland nicht in irgendeiner Weise dafür verantwortlich ist.«
»Harland hat nichts damit zu tun.«
Sie atmet tief durch. Eine Reaktion, von der ich nicht weiß, was sie bedeutet.
»Mit dem, was letzte Woche geschah, sollte irgendwas vertuscht werden«, sage ich. »Und Harland hat nichts zu vertuschen. Sicher, er hat viele beschämende Dinge getan. Er hat mit der besten Freundin Ihrer Tochter geschlafen. Er hatte ein Kind mit Ihrer Schwester. Aber er hat niemanden umgebracht damals. Daher hat er auch jetzt keinen Grund, jemand zu töten. Da ist nichts, was er verschleiern müsste, Nat.«
Ich lasse meine Bemerkung wirken und hoffe, dass Natalia das Schweigen aus eigenem Antrieb füllt. Ihre Mundwinkel sind nach unten gezogen. Vermutlich ist sie enttäuscht von meinen Ausführungen, aber das wird sie nie zugeben. Sie hantiert mit ihren Zigaretten, öffnet eine kleine perlenbesetzte Schachtel, zündet sich eine an und raucht schweigend.
Ich bin nicht ganz sicher, was ich hier eigentlich suche. Aber ich weiß, irgendwas liegt hier verborgen. Und ich bin ziemlich gut im Graben.
»Sie wissen, wo Leo Koslenko zu erreichen ist«, sage ich.
»Ich habe nicht die geringste Ahnung.« Aber ihre Antwort kommt zu schnell, zu aggressiv. Sie war auf diese Anschuldigung vorbereitet.
»Sie haben ihn in dieses Land geholt, Nat. Ihre Familie hatte in der Sowjetunion beste Beziehungen zu seiner. Er war ein kranker, gequälter Mann, der Ihnen gegenüber loyal war – und nur Ihnen gegenüber.«
Natalia klopft mit ihrer Zigarette leicht gegen den Rand eines Aschenbechers aus Marmor. Sie hat noch nie in ihrem Leben eine Frage beantworten müssen, die sie nicht beantworten wollte. Und sie wird jetzt nicht damit anfangen.
Also werde ich ihr ein wenig auf die Sprünge helfen müssen.
»Leo Koslenko hat Ellie Danzinger getötet«, erkläre ich. »Auf Ihre Anweisung hin.«
»Oh.« Ein kurzer Heiterkeitsausbruch ihrerseits. Sie wendet sich mir zu, behält den Ausdruck bei, eine Mischung aus Verachtung und Vergnügen. »Und – ist das vielleicht schon alles? Habe ich nicht auch noch die Morde an den anderen Mädchen befohlen? Etwa den an meiner eigenen Tochter?«
Ihr Ton ist herablassend, aber ihre Augen beginnen zu funkeln. Sie lässt ihre Zigarette im Aschenbecher weiterglimmen, erhebt sich von der Couch, richtet ein Gemälde an der Wand gerade. Mir schien es auch vorher völlig gerade zu hängen, daher wird ihr wohl langsam mulmig – oder sie versucht, Zeit zu gewinnen.
»Sie wollten Ihre Tochter nicht töten«, sage ich. »Aber Sie hatten keine andere Wahl. Cassie fand raus, dass Sie Ellies Tod in Auftrag gegeben hatten. Und Ihnen war klar, dass sie nicht schweigen würde.«
Nicht dass ich das für die Wahrheit halte. Aber ich rüttle am Baum. An einem Baum, in dem sich so einiges versteckt.
Ich bemerke etwas aus meinem linken Augenwinkel heraus, eine kurze Veränderung der Lichtverhältnisse im Flur. Wie ein huschender Schatten.
Jemand ist draußen im Gang.
»Sie wollten, dass Cassies Fall nicht zur Verhandlung kommt«, sage ich. »Sie haben befürchtet, jemand könnte einen genaueren Blick darauf werfen. Oder auf Cassie.«
Natalia legt die Hände hinter den Rücken und nickt langsam. »Was Sie da sagen, ist nicht nur lächerlich, Paul, Sie könnten es auch niemals beweisen.«
»Seien Sie sich da nicht so sicher.« Ich drehe mich unauffällig in Richtung Flur. Dann beginne ich auf und ab zu marschieren – um mich noch näher an den Flur heranzupirschen – und spreche dabei in Richtung des geöffneten Durchgangs. Ich will sicherstellen, dass sowohl Natalia mich hört wie auch die Person im Flur.
»Wir werden eine Exhumierung von Cassies Leiche veranlassen müssen«, sage ich.
»Sie bluffen«, erwidert sie in meinem Rücken. »Sie haben bereits einen Mann verurteilt wegen …«
Sie stockt, und ich lächle schweigend. Dank Natalia wurde niemand wegen Mordes an Cassie verurteilt. In ihrem Fall ist nie ermittelt worden.
»Das ist ein Bluff«, wiederholt sie.
»Es ist kein Bluff, Nat. Gouverneur Trotter hat vor, mich als Sonderermittler in Cassies Fall einzusetzen. Meine erste offizielle Amtshandlung wird sein, Sie wegen Mordverdachts zu verhaften.«
Nichts davon ist wahr, aber es klingt glaubwürdig, und nur darauf kommt es an.
»Die Technologie hat
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