In ihrem Blut: Thriller (German Edition)
fluchte.
Sie hätte sich um alles kümmern müssen, herausfinden sollen, wo Doyle war, ihre Verteidigung für die Anhörung wegen der Suspendierung vorbereiten und sich einen neuen Arzt suchen.
Sie ging ins Bad und sah in den Spiegel. Was für ein verdammter Mist. Sie musste sich zusammenreißen und die Dinge anpacken. Schnell. Eine App lud ihre Mailbox auf den PC , sie würde sie später abhören. Baden, frühstücken. Aber zuerst ein rascher Online-Check, um zumindest eine ihrer Ängste zu beschwichtigen.
Auf der Homepage des Nationalen Gesundheitsdienstes tönten sie: »Deine Gesundheit. Deine Wahl!« Aber nicht in Berlins Fall. Die Website ließ keinen Zweifel daran, dass registrierte Süchtige Methadon verschrieben bekamen und an Therapiesitzungen und anderen sogenannten therapeutischen Maßnahmen teilnehmen mussten, mit dem ultimativen Ziel der Beendigung der Sucht. Was auch immer das heißen mochte. Sie klickte sich durch das Regierungsportal und durch die Seiten, die Süchtigen ihre Dienste anboten, aber stets mit demselben Ergebnis.
Lazenby hatte sich als Arzt betrachtet und nicht als Instrument der Sozialpolitik. Doch anscheinend gab es kaum noch Lazenbys. Es war für einen Allgemeinmediziner, der Heroin verschreiben durfte, nicht einfach, das auch wirklich zu tun. Sie würde Zeit und Glück brauchen, um einen zu finden. Doch beides war knapp.
Pellicci’s in der Bethnal Green Road war berühmt. Es war 1900 erbaut worden und seither immer in der Hand derselben toskanischen Familie geblieben. Die Möblierung datierte von 1946 und wurde in Reiseführern erwähnt, außerdem pflegten die Ganovenbrüder Kray seinerzeit dort zu essen. Aber für Berlin waren es die Fritten.
»Bitte schön, mein Schatz.« Nino garnierte das Frühstück mit einem Zwinkern.
Sie saß gemütlich in einer kleinen Nische und konzentrierte sich auf Eier, Speck, Würstchen und Fritten. Wahrscheinlich würde es sie umbringen, aber das hatten sie auch vom Heroin behauptet. Das erste knusprige goldgelbe Stäbchen war auf halbem Weg zu ihrem Mund, als die Tür aufschwang und einen eiskalten Luftzug und einen Dicken in einem Kamelhaarmantel mit jeder Menge goldener Ringe an den Fingern hereinließ.
»Morgen, Mr. Doyle«, trällerte Nino.
Berlin sah auf ihren Teller und versteckte das Gesicht hinter den herabhängenden Haaren. Na klar – hier hatte sie ihn schon einmal gesehen. Jetzt war es später Vormittag. Normalerweise kam sie vor der Arbeit hierher, und Doyle richtete sich offensichtlich nicht nach Bürozeiten, deshalb waren sie sich hier selten begegnet.
Sie konnte einfach nicht glauben, dass die Polizei seine Wohnung nicht observierte. Es sei denn, man hatte ihn während der Nacht befragt und wieder laufen lassen. Das war aber unwahrscheinlich. Bei einem Mord ordnete der Richter meistens eine Verlängerung der Verhörzeit an. Sie hatten Berlins Aussage, dass das Mordopfer aus dem Kanal Doyle als einen Kredithai identifiziert hatte, und damit besaßen sie ausreichend Gründe, ihn eine gewisse Zeit lang festzuhalten.
Es war kaum zwei Tage her, seitdem sie Juliet Bravo in der Schleuse hatte treiben sehen – und hier war der Hauptverdächtige und bestellte sich Wurst und Eier. Sie blickte auf und sah, dass Doyle den Kerl anstarrte, der im wärmsten Winkel saß. Der Mann verstand die Botschaft, schnappte sich seine Zeitung und das Corned-Beef-Sandwich und suchte sich einen anderen Platz.
Doyle bewegte sich vorsichtig. Das Pflaster unter seinem rechten Wangenknochen wies auf etwas Schlimmeres als einen Schnitt beim Rasieren hin. Er zog den Mantel aus, aber nicht den Schal. Als er sich vorbeugte, sah sie hinten an seinem Hals einen leuchtend lila Streifen.
Vielleicht spürte er die Blicke. Doyle drehte sich um und sah sie direkt an. Einen flüchtigen Augenblick lang lächelte er sie kurz bedauernd an und äußerte damit seine Sympathie für einen Mitmenschen, der ebenfalls Prügel bezogen hatte. Ihr war klar, dass sich ihr Gesicht in einer ähnlichen Verfassung befand wie seins.
Sie konnte nicht anders.
Sie lächelte zurück.
14
Jeremy Fernley-Price aß ein einsames Birchermüsli, während er die Financial Times überflog. Darin stand eine so todtraurige Geschichte, dass er schon befürchtete, das Müsli würde ihm wieder hochkommen. Seine Welt implodierte jetzt immer öfter. Jede Seite wimmelte von Wörtern wie »Chaos«, »Aufruhr« und »Zusammenbruch«. Das waren keine Begriffe, die einem Master of the Universe vertraut
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