In letzter Sekunde - Child, L: In letzter Sekunde - Echo Burning/ Reacher 05
von der Rezeption entfernt im Erdgeschoss, das andere im vorderen Drittel des Gebäudes im ersten Stock. Die Frau nahm das Zimmer im Obergeschoss.
»Seht zu, dass ihr genug Schlaf bekommt«, sagte sie zu ihren Partnern. »Wir haben noch viel Arbeit vor uns.«
Reacher hörte Josh und Billy gegen zwei Uhr morgens zurückkommen. Er hörte den Motor des Pick-ups schon aus einer Meile Entfernung, hörte ihn allmählich lauter werden, als der Wagen näher kam, dann langsamer wurde und von der Straße durchs Tor abbog. Er hörte die Federung quietschen, als das Auto über den Hof holperte. Er hörte, wie der Wagen unter ihm in die Garage fuhr und wie der Motor abgestellt wurde. Dann waren nur noch das Knistern und Knacken des abkühlenden Motorblocks und Schritte auf der Treppe zu vernehmen. Sie polterten laut und schwerfällig herauf. Er bemühte sich, nicht ganz aufzuwachen, während die beiden an ihm vorbeigingen, einzeln auf der Toilette verschwanden und sich dann auf ihre knarrenden Betten warfen.
Dann war nichts mehr zu hören außer dem Zirpen der Insekten und dem leisen Schnarchen von Männern, die den ganzen Tag schwer gearbeitet und den Abend über viel getrunken hatten. Für Reacher waren das vertraute Geräusche. In seinen siebzehn Dienstjahren hatte er überwiegend in Schlafsälen genächtigt.
Als er aufwachte, waren die Insektenstimmen verstummt. Auch die Sterne waren verschwunden. Im Ausschnitt des hohen Fensters sah er den Tag heraufdämmern. Gegen sechs Uhr morgens, vermutete er: Sommer, tief im Süden. Er hob den linken Arm und schaute auf seine Uhr. Zehn nach sechs, Samstagmorgen. Er dachte an Jodie in London. Dort war es schon zwölf Uhr zehn. Sechs Stunden voraus. Sie würde schon lange auf den Beinen sein. Vermutlich in einem Museum oder in Galerien unterwegs. Dann dachte er an Carmen Greer drüben im Haupthaus, die noch achtundvierzig Stunden Zeit hatte, bis Sloop heimkam. Und dann an Ellie, die sich vielleicht ruhelos in ihrem Bett wälzte und ahnungslos einem Tag entgegenschlief, an dem ihr junges Leben sich erneut ändern würde.
Er schlug die verknitterte Bettdecke zurück, ging nackt mit seinen Kleidern auf dem Arm in den Waschraum. Josh und Billy schliefen noch immer fest. Beide lagen angezogen auf ihren Betten. Josh trug sogar noch seine Stiefel. Schaler Biergeruch lag in der Luft.
Reacher duschte zuerst warm und drehte dann den Kaltwasserhahn auf, um richtig wach zu werden. Aber das kalte Wasser hatte fast die gleiche Temperatur wie das warme. Er ließ Wasser ins Waschbecken laufen und legte seine Sachen hinein. Das war ein Trick, den er in seiner Jugend irgendwo im Pazifik Soldaten abgeschaut hatte, die mittags Wache schieben mussten. Zog man seine Kleider nass an, war das wie eine eingebaute Klimaanlage, die einen kühlte, bis die Sachen wieder
trocken waren. Verdunstungskühlung nannte man das. Er schlüpfte in das nasse Baumwollzeug, stieg die Treppe hinunter und trat in den Morgen hinaus. Vor ihm ging gerade die Sonne auf. Der rosig gefärbte Himmel war wolkenlos.
Die Beobachter trafen sich, wie sie es schon fünfmal zuvor getan hatten. Inzwischen war daraus Routine geworden. Einer der Männer fuhr mit dem Pick-up an dem Haus des Jungen vorbei, wo er ihn am Straßenrand auflas. Dann fuhren sie gemeinsam zum Haus des zweiten Mannes. Und hier zeigte sich, dass sich die bisherige Routine geändert hatte.
»Er hat eben angerufen«, berichtete der zweite Mann. »Wegen einer Änderung des Plans. Wir sollen zu einer bestimmten Stelle am Coyanosa Draw kommen und dort persönlich neue Anweisungen erhalten.«
»Von wem persönlich?«, fragte der erste Mann. »Nicht von ihm, oder?«
»Nein, von irgendwelchen Leuten, mit denen wir zusammenarbeiten sollen.«
Der Junge sagte nichts. Der erste Mann zuckte lediglich die Achseln.
»Meinetwegen«, sagte er.
»Außerdem kriegen wir unser Geld«, fügte der zweite Mann hinzu.
»Noch besser«, meinte der erste Mann.
Der zweite Mann zwängte sich mit auf den Vordersitz und knallte die Tür zu; der Pick-up wendete und fuhr nach Norden davon.
Reacher ging zum Pferdestall. Nirgends ein Laut, als sei die gesamte Ranch ausgestorben. Plötzlich interessierten ihn die Pferde. Legten sie sich hin, um zu schlafen? Er schlüpfte durchs große Tor und stellte fest, dass sie’s nicht taten. Sie standen mit hängenden Köpfen da. Die große alte Stute, mit
der er sich am Abend zuvor abgemüht hatte, witterte ihn und öffnete ein Auge.
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