In Liebe verführt
La Rochelle, weiter die Küste abwärts, der nächste Anlaufpunkt. Jede Landung an der feindlichen Küste war voller Gefahren und konnte nur nachts stattfinden. Aber er würde keine Ruhe haben, solange er nicht wusste, was mit ihr los war.
Er war noch nicht so weit, Meg an dieser Stelle in sein Vertrauen zu ziehen. Sie hatte sich schließlich seiner Mission angeschlossen. Er konnte es nicht riskieren, ihr Informationen anzuvertrauen, die ihn verraten würden, falls man sie zwang, sie preiszugeben. Sie war keine erfahrene Agentin wie Ana, und er hatte bisher weder Zeit noch Gelegenheit gehabt, ihre Stärken und ihre Erfindungsgabe zu testen. Das war später an der Reihe, zusammen mit der Ausbildung, die er ihr würde angedeihen lassen müssen.
Unvermittelt fiel ihm ein, dass es vielleicht keine günstigere Gelegenheit mehr geben würde als jetzt, um mit einem solchen Test und der notwendigen Ausbildung zu beginnen. Wie sollte er wissen, wozu sie fähig war, wenn er ihr nicht die Gelegenheit gab, es ihm zu zeigen?
Er schaute zurück zur Heckreling, doch da stand sie nicht mehr, und er vermutete, dass sie unter Deck gegangen war, um ihrem Ärger unauffällig Luft zu machen. Andererseits hielt er sie nicht für nachtragend. Sie würde ihm böse sein, aber das würde sie ihm offen zeigen.
Meg war tatsächlich in der Kajüte, und böse war sie obendrein. Gus, der sich sehr erfreut zeigte, Gesellschaft zu haben, hüpfte auf ihre Schulter und zupfte an ihrem Ohrläppchen. »Ach, bist du einsam, Gus?«
Er murmelte freundlichen Unsinn in ihr Ohr, und sie spürte, wie ihr Zorn etwas nachließ. Sie setzte Gus auf seine Stange, zog ihren feuchten Umhang aus und schauderte in dem dünnen Seidenkleid. In Anas Schrank waren keine warmen Winterkleider gewesen, und das verwirrte sie leicht. Sowohl Cosimo als auch sie mussten doch gewusst haben, wie unangenehm das Wetter auf dem Meer werden konnte.
Vielleicht in einem anderen Schrank. Sie hatte die Kajüte noch nicht weiter erforscht. Sie kniete sich hin, um die Reihe von niedrigen Schränken unter der Bank am Fenster zu öffnen. Da waren lediglich die Unterwäsche, Strümpfe und Halstücher des Freibeuters drin. Mit gerunzelter Stirn überlegte sie: Wo waren die geheimnisvollen Nachrichten, die er von Leutnant Murray bekommen hatte?
Bestimmt waren sie hier irgendwo in der Kajüte. Sie vergaß ihre Absicht, nach wärmerer Kleidung zu suchen, und ging hinüber zum Kartentisch und den Regalen mit den Büchern darüber. Vielleicht hatte er sie zwischen die Bücher gesteckt. Sie nahm noch einmal jedes Buch in die Hand und fragte sich erneut, warum die Bibliothek des Freibeuters nur aus Wörterbüchern bestand. Besonders das lateinische Wörterbuch verstand sie nicht. Und eine Bibel? Veranstaltete er sonntags eine Andacht oder so etwas? Aber sie hatte schon einen Sonntag an Bord verbracht, und das auch noch im Hafen, wo die Mannschaft nichts zu tun gehabt hatte. Da war nichts gewesen, was irgendwelche Ähnlichkeiten mit einer religiösen Zeremonie hatte. Las er eventuell im stillen Kämmerlein die Bibel? Diese Vorstellung war so absurd, dass ihre gewohnt gute Laune zurückkehrte. Trotzdem wollte sie weiterhin jene Nachrichten finden, die der Grund seiner Reise waren.
Sie hob die Karten auf dem Tisch hoch, öffnete die kleine Schublade darunter. Sie enthielt eine Portion neuer Schreibfedern, dünnes Papier und eine Hand voll kleiner Metallzylinder. Sie wusste, weil er kein Geheimnis daraus machte, dass er mit Kurierdiensten zu tun hatte. Und, weil er es ihr selbst gesagt hatte, dass er ein Kurier war und Nachrichten überbrachte. Das waren sicher in der Welt der Spione wichtige Tätigkeiten, aber irgendwie schienen sie ihr nicht wichtig genug für Cosimo. Also was sonst tat er?
Sie bückte sich, um den Schrank unter dem Kartentisch zu öffnen, aber er war verschlossen, der einzige Platz in der ganzen Kajüte, dessen Inhalt nicht zugänglich war. Was für Geheimnisse bewahrte er dort drinnen auf? Die geheimen Nachrichten womöglich? Aber was sonst noch?
Sie schaute gedankenverloren durch das vom Regen fast blind gewordene Fenster auf das wogende, bleifarbene Meer, als sich die Tür öffnete. Sie drehte sich hastig um und holte schuldbewusst tief Atem, denn sie wusste, dass die Schublade hinter ihr noch offen stand und sie die Bücher noch nicht wieder ins Regal zurückgestellt hatte.
»Suchst du etwas?«, fragte Cosimo mit gerunzelter Stirn.
»Ja«, sagte sie. »Warme
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