In manchen Nächten: Kriminalroman (German Edition)
unberechenbaren Angriffen. Nicht einen Augenblick vergaß er die beiden Morde. Er hatte Kopfschmerzen von der Anspannung, seine Nackenmuskulatur tat weh.
Auf dem Weg zum Konsulat versuchte Knut, sich auf die unausweichliche Begegnung mit Jewgeni Iwanowitsch Rostov vorzubereiten. Warum war er hier, wenn der Trust ihn nicht beauftragt hatte? War sein Entsetzen über die beiden makabren Todesfälle ehrlich gewesen, hatte er für eine intensive und glaubwürdige Absicherung der Tatorte gesorgt, hatte er sich konstruktiv in der anschließenden Analyse der Situation verhalten? Er benahm sich durchaus wie ein Polizist. Aber wenn er nicht ein Privatdetektiv im Auftrag des Trusts war, wer war er dann?
Außer dem Russen hielt sich niemand im Büro des Konsuls auf. Er saß am Ende des Sitzungstischs, mit einem vor Müdigkeit grauen Gesicht und blutunterlaufenen Augen.
»Du hast dich nicht hingelegt«, stellte Knut fest. »Wo bist du gewesen?«
»Der Konsul und der Büroleiter haben zu einer Versammlung in der Sporthalle aufgerufen. Ich dachte, es wäre gut, wenn wenigstens einer von uns anwesend ist.« Es hörte sich an, als hätte Knut eine wichtige Verpflichtung geschwänzt.
»Kam bei dem Treffen was heraus?« Natürlich hätte er dort sein müssen, fand Knut irritiert, aber er konnte schließlich keine Gedanken lesen. Jemand hätte ihn informieren müssen.
»Die Leute haben Angst. Sie verstehen nicht, was passiert, niemand kann ihnen eine schlüssige Erklärung für die Todesfälle liefern. Sie erfinden alle möglichen Geschichten von Lustmördern, fantasieren über Wiedergänger toter Grubenarbeiter, die man tief unten in den alten Stollen zum Leben erweckt hat … Niemand wagte es, auf der Versammlung den Mund aufzumachen. Der Mörder hätte ja unter ihnen sein können.«
»Ich hoffe nur, dass die Leute nicht anfangen, in der Stadt mit Waffen herumzulaufen. Abgesehen von den Wachen. Die Situation könnte außer Kontrolle geraten.« Knut sah ein, dass eine Konfrontation im Augenblick nicht sehr vernünftig war. Der Mann benahm sich offensichtlich ganz verantwortungsbewusst.
»Mit der Versammlung wollte man so etwas verhindern. Aber da wir so wenig wissen, glaube ich kaum, dass der Konsul zur Beruhigung beitragen konnte … und ich auch nicht.«
»Du?« Knut sah ihn an. »Hast du auf der Versammlung etwas gesagt?«
»Hör mal, ich bin nicht blöd. Ich habe gehört, dass Jekaterina herumläuft und allen, die es hören wollen, ihre Geschichte erzählt. Ich bin bereit, die Karten auf den Tisch zu legen. Es muss allerdings in aller Vertraulichkeit passieren, nur dir gegenüber, aber zuerst hole ich uns etwas zu essen und Kaffee aus der Kantine. Der Rest der Stadt isst in der Sporthalle zu Mittag.«
Als Knut Iwanowitschs Schritte auf der Treppe hörte, rannte er ins Vorzimmer. Konnte er sich an die Reihenfolge der Ziffern erinnern, um eine externe Verbindung aus der Stadt zu bekommen?
Wieder klingelte es im Büro des Polizeichefs in Longyearbyen. Tom lief den Flur hinunter, warf sich auf das Telefon und meldete sich im letzten Moment. »Knut, endlich …«
»Ich rufe aus dem Konsulat an.«
Tom dachte nach. »Du kannst nicht offen sprechen? Wirst du abgehört?«
»Ja, vielleicht.«
»Gut, ich werde versuchen, dir keine Fragen zu stellen. Ich habe den Chef der Mordkommission bei Kripos kontaktiert. Ich ging davon aus, dass ich damit am schnellsten an Informationen komme.«
»Und was hat er gesagt?«
»Dieser Detektiv … das meiste, was er dir erzählt hat, stimmt. Er hat eine kleine Firma in Murmansk und lebt im Wesentlichen von den Aufträgen der Gewerbetreibenden dort. Lund Hagen glaubt, dass er für die organisierte Kriminalität arbeitet, für korrupte Politiker und Geschäftsleute. Nicht sonderlich überraschend, wenn man in Betracht zieht, dass ihn die Polizei bereits in den Achtzigern gefeuert hat …«
»Wegen Saufens, ja, das hat er mir erzählt …«
»Nein, wegen Korruption. Und noch etwas …« Tom machte eine kleine Pause. »Und das ist ziemlich ernst … er arbeitete im Polizeidistrikt Krasnodon, als er rausgeschmissen wurde. Laut Lund Hagen war der Grund, dass er regelmäßig Informationen gegen Bezahlung an eine kriminelle Organisation da unten weitergegeben hat. Eine mafiaähnliche Organisation, die damals die illegale Produktion von Schnaps betrieb …«
Knut atmete tief durch. Es war schlimmer, als er gedacht hatte. »Hat Lund Hagen gesagt, was für Informationen?«
»Ja. Die Informationen,
Weitere Kostenlose Bücher