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In manchen Nächten: Kriminalroman (German Edition)

In manchen Nächten: Kriminalroman (German Edition)

Titel: In manchen Nächten: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica Kristensen
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hingen Ikonen in kräftigen Farben, ganz hinten ein vergoldetes Triptychon. Die Stühle und Bänke hatte man an die Wände geschoben. Mitten im Raum stand ein hölzerner Sarg, auch er lackiert. Der Deckel war verschraubt.
    Vor dem Sarg saßen zwei dunkelgekleidete Gestalten auf einer niedrigen Bank. Es war eiskalt in der Kapelle, beide trugen eine dicke Bergarbeiterjacke und hatten die Kapuzen tief über die Köpfe gezogen. Die beiden Frauen stützten sich gegenseitig und hatten nicht reagiert, als Knut die Tür öffnete. Ein Windstoß fegte Schnee über den Boden. Die Kerzen flackerten heftig und wurden beinahe ausgeblasen. Die kleinere der beiden Gestalten drehte sich um – ein schmales, bleiches Gesicht unter dem Kapuzenrand, die Wangen nass und glänzend vor Tränen. Schnell schloss er die Tür und fühlte sich wie ein Spanner; er hatte dort nichts verloren.
    Die übrige Bevölkerung Barentsburgs ließ sich nicht blicken, jedenfalls nicht in den Straßen. Vielleicht lagen sie in ihren Betten und schliefen nach der Nachtschicht, möglicherweise arbeiteten sie in Büros oder den Stollen. In den meisten Häusern brannte Licht, aber niemand hatte das Bedürfnis nach seiner Anwesenheit. Tatsächlich hatte er nur Kontakt zu drei Russen – dem Konsul, dem Direktor des Bergwerks und dem Dolmetscher. Sie kümmerten sich so gut wie möglich um ihn, allerdings mit höflicher Distanz. Allen anderen war er egal.
    Er schaute hinüber zum Konsulat. Aus der Entfernung glich das Gebäude mit den hohen Eisentoren einer Festung. Vielleicht sollte er zurückgehen? Aber Tom hatte ihn gebeten, die Fischkutter zu überprüfen. Das blaue Tageslicht verschwand schnell und wurde beinahe von Minute zu Minute schwächer. Wenn er irgendetwas herausfinden wollte, dann musste er jetzt hinunter zum Kai gehen.
    Der kürzeste Weg zum Kai führte über eine Reihe von Treppen, die mit kleinen Holzplattformen unterteilt waren. Hier und da liefen Reste eines verfallenen, morschen Bretterstegs den steilen Abhang hinab. Die ersten Einwohner von Barentsburg hatten diese Konstruktion gebaut, als der Sowjetstaat das Eigentumsrecht an den Kohlevorkommen im Grønfjord übernahm. Die Treppen und Bretterstege waren eine vernünftige Lösung für das Problem der steilen Steigung von der Uferzone bis zum Grubengebiet, zumal man auf diese Weise gleichzeitig die Abwasserrohre und Wasserleitungen isolieren und schützen konnte. Auch in Ny-Ålesund und Longyearbyen gab es solche alten Holzverschalungen, allerdings nicht so breit, dass man sie als Weg nutzen konnte.
    Knut schämte sich, dass er sich ans Geländer klammerte, als er die Treppe hinunterstieg. Mit den Füßen tastete er sich vor wie ein unsicherer alter Mann. Verlor er hier den Halt, würde sein Fall vermutlich erst unten am Ufer enden. Die Stufen waren mit Eis und Schnee überzogen. Niemand hatte sich in den letzten Tagen die Mühe gemacht und gefegt. Er bemerkte, dass die Stufen keine Fußabdrücke aufwiesen.
    Auf der Hälfte des Abstiegs zum Kai blieb er auf einem großen, länglichen Absatz stehen – beinahe einer Plattform. Zu beiden Seiten erstreckte sich das offene Ödland. Obwohl der Schnee den schlimmsten Eindruck überdeckte, wirkte alles durch den Kohlenstaub schmutzig. Er sah die Spuren der gestrigen Nacht, eine Menge Fußabdrücke in beide Richtungen. Zum Kai hin wurde das Gelände von einer Reihe teilweise eingestürzter Hütten begrenzt, die eine auffallend lange Baracke bildeten. Vermutlich die ursprünglichen Unterkünfte der ersten Grubenarbeiter. Trostlose, kleine Bruchbuden im letzten Stadium des Verfalls. Die Bretterstege davor waren voller Löcher und morscher Balken.
    Knut ging ein paar unsichere Schritte weiter und entdeckte ein nettes kleines Haus, das am Rande des letzten Absatzes vor der Kaianlage stand. Auch dieses kleine Gebäude hatte er bisher nicht bemerkt. Es war im traditionellen russischen Stil gebaut, mit vielen Verzierungen am Dach und rund um die Fenster. Irgendwann einmal musste es ein gemütliches Heim für jemanden gewesen sein, dem man eine besondere Ehre erweisen wollte, vielleicht einem Direktor, einem Arzt oder einem Priester. Knut wurde neugierig, er hatte Lust, sich das Haus näher anzusehen. Trotzdem ging er weiter in Richtung Kai, stieg vorsichtig die Treppe hinunter, geriet außer Atem und dachte mit Unbehagen an den weit schwierigeren und ermüdenden Aufstieg zurück zur Siedlung – zweihundertsiebenundfünfzig Stufen, wie die Reiseführer den

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