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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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dem Flur vor dem Spital jemand vorbeigeschlichen war, Richtung
     Kreuzgang.
    Lautlos schob ich die
     kratzige Wolldecke zurück, dann richtete ich mich auf. Mir
     schwindelte kurz. Ich blickte zu dem bretonischen Mönch hinüber,
     dessen schlafende Gesichtszüge zerquält waren vom Schmerz. Ich
     schlug das Kreuz, wagte jedoch nicht, ein Gebet zu murmeln, aus Angst,
     dass selbst dieses leise Geräusch jemanden auf mich aufmerksam machen
     könnte. Vorsichtig stand ich auf. Ein Schauder erfasste meinen Körper,
     als meine nackten Fußsohlen den kühlen Steinboden berührten.
    Dann schlich ich los. Wohl
     zwanzig Schritte waren es bis zur Pforte, die vom Spital auf den Gang
     hinausführte.
    Die ersten zwei oder drei
     Schritte schwankte ich unsicher, doch dann ließ mein Schwindel nach.
     Ich sah mich um. Außerhalb der schwachen Lichtkreise, welche die
     Talgfunzeln warfen, lag das Spital im Dunkeln. Niemand regte sich. Noch
     zehn Schritte.
    Vom Gang her war nichts mehr
     zu hören. Ich fragte mich, ob mich meine überreizten Sinne getäuscht
     hatten, doch musste ich mich vergewissern. Noch fünf Schritte.
    Würde sich die Pforte
     geräuschlos öffnen lassen? Ich versuchte, mich daran zu
     erinnern, wie es war, als mich Meister Philippe und der Novize an diesem
     Morgen in den Raum geleitet hatten, doch war ich zu fiebrig gewesen, als
     dass ich mich nun noch an Einzelheiten hätte erinnern können.
     Noch zwei Schritte. »Was machst du da, Bruder Ranulf?«
    Gerade noch konnte ich einen
     Aufschrei unterdrücken. Ich fuhr herum, mein Herz hämmerte,
     Schweiß perlte auf meiner Stirn. Vor mir stand ein Mönch, die
     Kapuze weit über den Kopf geschlagen, sodass ich sein Gesicht im
     schummrigen Licht nicht einmal erahnen konnte.
    Ich stotterte unzusammenhängende
     Worte. »Du fieberst noch«, sagte der unbekannte Mönch.
     »Wer bist du?«, brachte ich schließlich heraus - und
     fragte mich zugleich, woher er wusste, wer ich war.
    »Ich habe Nachtdienst
     im Spital«, antwortete der Mönch, doch nannte er seinen Namen
     nicht. Seine Stimme war tief, aber ich konnte mich nicht daran erinnern,
     sie je zuvor gehört zu haben.
    Ich zitterte. Meine Zähne
     schlugen aufeinander und ich schämte mich dafür.
    »Komm«, sagte der
     Unbekannte, »ich geleite dich zurück zu deiner Schlafstatt.«
    Er fasste meinen rechten Arm.
     Seine Hand stützte mich, doch spürte ich, wie fest sein Griff
     war.
    Ich gab auf und ließ
     mich von ihm zur Pritsche zurückführen. »Du bist gütig«,
     brachte ich heraus.
    Der Unbekannte verneigte
     sich, als ich mich wieder hinlegte. Dann war er, geräuschlos, wie er
     erschienen war, wieder verschwunden. Doch ich wusste nun, dass er irgendwo
     im Dunkel des Spitals war. Keine meiner Bewegungen würde ihm
     entgehen. So lag ich denn auf dem Stroh und starrte mit weit geöffneten
     Augen in die Dunkelheit. War dies ein Zufall? War jener unbekannte Mönch
     tatsächlich der, der er zu sein vorgab? Nichts als ein besorgter,
     hilfsbereiter Pfleger im Spital?
    Oder war er ein Wächter
     wie jener, dem ich schon einmal des nachts nur knapp entronnen war?
     Vielleicht gar derselbe? Und wenn ja: Wen oder was mochte er wohl beschützen?
    Ich lauschte, ob ich noch
     einmal auf dem Gang Geräusche hören würde. Doch alles blieb
     still, Stunde um Stunde, bis es schon hell zu werden begann. Nichts konnte
     man mehr vernehmen. Irgendwann fiel mir auf, wie vollkommen diese Stille
     tatsächlich war. Die Atemzüge des bretonischen Mönches
     neben mir waren erloschen.
    *
    Den nächsten Tag
     verbrachte ich im Spital. Einige Brüder hoben den alten Mönch,
     der in der Nacht gestorben war, auf eine Bahre und brachten seinen Körper
     hinaus. Später hörte ich dann die Totenglocke läuten und
     noch später die Glocken, die zur Messe riefen. Unauffällig sah
     ich zu den Mönchen hinüber, die Dienst im Spital versahen. Ob
     einer von ihnen der Unbekannte jener letzten Nacht sein konnte? 
    Mir schienen sie alle zu
     klein und zu schmächtig dafür, doch sagte ich mir, dass im
     Dunkeln ein jeder Mensch größer erscheinen mochte, als er bei
     Tageslicht betrachtet tatsächlich war. Es gelang mir jedenfalls
     nicht, irgendjemanden als den nächtlichen Pfleger zu identifizieren.
     Doch ich wagte nicht, nach dem unbekannten Mönch zu fragen. Die Kräuter,
     die Bruder Malachias mir reichte, stärkten mich. Ich fühlte mich
     Stunde um Stunde besser. Gegen Abend erlaubte mir Bruder Malachias, die
    

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