In Nomine Mortis
dem Flur vor dem Spital jemand vorbeigeschlichen war, Richtung
Kreuzgang.
Lautlos schob ich die
kratzige Wolldecke zurück, dann richtete ich mich auf. Mir
schwindelte kurz. Ich blickte zu dem bretonischen Mönch hinüber,
dessen schlafende Gesichtszüge zerquält waren vom Schmerz. Ich
schlug das Kreuz, wagte jedoch nicht, ein Gebet zu murmeln, aus Angst,
dass selbst dieses leise Geräusch jemanden auf mich aufmerksam machen
könnte. Vorsichtig stand ich auf. Ein Schauder erfasste meinen Körper,
als meine nackten Fußsohlen den kühlen Steinboden berührten.
Dann schlich ich los. Wohl
zwanzig Schritte waren es bis zur Pforte, die vom Spital auf den Gang
hinausführte.
Die ersten zwei oder drei
Schritte schwankte ich unsicher, doch dann ließ mein Schwindel nach.
Ich sah mich um. Außerhalb der schwachen Lichtkreise, welche die
Talgfunzeln warfen, lag das Spital im Dunkeln. Niemand regte sich. Noch
zehn Schritte.
Vom Gang her war nichts mehr
zu hören. Ich fragte mich, ob mich meine überreizten Sinne getäuscht
hatten, doch musste ich mich vergewissern. Noch fünf Schritte.
Würde sich die Pforte
geräuschlos öffnen lassen? Ich versuchte, mich daran zu
erinnern, wie es war, als mich Meister Philippe und der Novize an diesem
Morgen in den Raum geleitet hatten, doch war ich zu fiebrig gewesen, als
dass ich mich nun noch an Einzelheiten hätte erinnern können.
Noch zwei Schritte. »Was machst du da, Bruder Ranulf?«
Gerade noch konnte ich einen
Aufschrei unterdrücken. Ich fuhr herum, mein Herz hämmerte,
Schweiß perlte auf meiner Stirn. Vor mir stand ein Mönch, die
Kapuze weit über den Kopf geschlagen, sodass ich sein Gesicht im
schummrigen Licht nicht einmal erahnen konnte.
Ich stotterte unzusammenhängende
Worte. »Du fieberst noch«, sagte der unbekannte Mönch.
»Wer bist du?«, brachte ich schließlich heraus - und
fragte mich zugleich, woher er wusste, wer ich war.
»Ich habe Nachtdienst
im Spital«, antwortete der Mönch, doch nannte er seinen Namen
nicht. Seine Stimme war tief, aber ich konnte mich nicht daran erinnern,
sie je zuvor gehört zu haben.
Ich zitterte. Meine Zähne
schlugen aufeinander und ich schämte mich dafür.
»Komm«, sagte der
Unbekannte, »ich geleite dich zurück zu deiner Schlafstatt.«
Er fasste meinen rechten Arm.
Seine Hand stützte mich, doch spürte ich, wie fest sein Griff
war.
Ich gab auf und ließ
mich von ihm zur Pritsche zurückführen. »Du bist gütig«,
brachte ich heraus.
Der Unbekannte verneigte
sich, als ich mich wieder hinlegte. Dann war er, geräuschlos, wie er
erschienen war, wieder verschwunden. Doch ich wusste nun, dass er irgendwo
im Dunkel des Spitals war. Keine meiner Bewegungen würde ihm
entgehen. So lag ich denn auf dem Stroh und starrte mit weit geöffneten
Augen in die Dunkelheit. War dies ein Zufall? War jener unbekannte Mönch
tatsächlich der, der er zu sein vorgab? Nichts als ein besorgter,
hilfsbereiter Pfleger im Spital?
Oder war er ein Wächter
wie jener, dem ich schon einmal des nachts nur knapp entronnen war?
Vielleicht gar derselbe? Und wenn ja: Wen oder was mochte er wohl beschützen?
Ich lauschte, ob ich noch
einmal auf dem Gang Geräusche hören würde. Doch alles blieb
still, Stunde um Stunde, bis es schon hell zu werden begann. Nichts konnte
man mehr vernehmen. Irgendwann fiel mir auf, wie vollkommen diese Stille
tatsächlich war. Die Atemzüge des bretonischen Mönches
neben mir waren erloschen.
*
Den nächsten Tag
verbrachte ich im Spital. Einige Brüder hoben den alten Mönch,
der in der Nacht gestorben war, auf eine Bahre und brachten seinen Körper
hinaus. Später hörte ich dann die Totenglocke läuten und
noch später die Glocken, die zur Messe riefen. Unauffällig sah
ich zu den Mönchen hinüber, die Dienst im Spital versahen. Ob
einer von ihnen der Unbekannte jener letzten Nacht sein konnte?
Mir schienen sie alle zu
klein und zu schmächtig dafür, doch sagte ich mir, dass im
Dunkeln ein jeder Mensch größer erscheinen mochte, als er bei
Tageslicht betrachtet tatsächlich war. Es gelang mir jedenfalls
nicht, irgendjemanden als den nächtlichen Pfleger zu identifizieren.
Doch ich wagte nicht, nach dem unbekannten Mönch zu fragen. Die Kräuter,
die Bruder Malachias mir reichte, stärkten mich. Ich fühlte mich
Stunde um Stunde besser. Gegen Abend erlaubte mir Bruder Malachias, die
Weitere Kostenlose Bücher