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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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er.
    »Warum?«, wollte
     ich wissen, während wir schon in unziemlicher Hast durch den
     Kreuzgang eilten und ich spürte, wie einige Mitbrüder uns
     misstrauische Blicke zuwarfen.
    »Während du mit
     deiner Krankheit gerungen hast«, erklärte Philippe de
     Touloubre, ohne dabei jedoch seinen Schritt zu verlangsamen, »habe
     ich von einem der Spitzel, die regelmäßig für die
     Inquisition arbeiten, einen Hinweis auf Pierre de Grande-Rue erhalten.«
    »Den Vaganten?«,
     fragte ich erstaunt. Ihn hatte ich inzwischen fast vergessen.
    Meister Philippe nickte
     grimmig. »Endlich glaubt jemand, ihn gesehen zu haben. Er soll bei
     einem Fleischer untergekommen sein und sich in den großen Schlachthöfen
     verstecken.«
    Ich verzog angeekelt den
     Mund. »Ein wahrhaft teuflisches Versteck, denn welcher Mensch würde
     schon freiwillig an solch einen grausigen Ort gehen?«
    »Wir werden dorthin
     gehen. Und zwar sofort!«, verkündete der Inquisitor und
     bedachte mich mit einem sardonischen Lächeln. Ich schlug ein Kreuz
     und wappnete mich — meine Suche nach dem Land der Periöken
     musste ich wohl oder übel auf einen anderen Tag verschieben.
    *
    Während wir die Rue
     Saint-Jacques Richtung Seine hinuntereilten, fragte ich mich, ob der
     Vagant etwas mit der terra perioeci zu
     tun haben könnte. Doch was? Mochte es ein »Land der Vaganten«
     geben? Oder ein Lied, in dem jenes geheimnisvolle Reich beschrieben wurde?
     Wir eilten über den Petit Pont, die Insel im Schatten von Notre-Dame
     und schließlich den Grand Pont. Auf der anderen Seite der Seine
     wandten wir uns nach rechts, ließen die Place de Greve hinter uns
     und eilten einen schmutzigen, doch angenehm schattigen Weg entlang, der
     »Ufer der Ulmen« genannt wurde.
    Unterwegs blickte ich mich
     unauffällig zum Hafen um: Dort ragte noch immer der Mast der »Kreuz
     der Trave« auf. Ich sah ein paar Matrosen an Deck stehen, doch
     hatten sie offenbar nichts mehr zu tun. Richard Helmstede und der
     Steuermann Gernot waren nirgends zu erblicken. Mein Herz schlug schneller
     vor Freude und Wollust, denn solange die Kogge in Paris blieb, solange
     durfte ich hoffen, die Gattin des Reeders wiederzusehen.
    Je länger wir entlang
     der Seine stromaufwärts gingen, desto ärmlicher wurden die Häuser
     am Uferweg. Ginster, Brennnesseln und Brombeeren wucherten nun am Rande
     des Weges. Der Boden war schlammig und selbst in der Sommerhitze standen
     noch kleine Tümpel fauligen Wassers, deren Miasmen schrecklich
     stanken. Doch dies alles war nichts im Vergleich zu dem, was sich unseren
     Augen und Nasen schließlich bei den Schlachthöfen bot. Diese
     bestanden aus einigen großen, grob aus Ziegeln und Eichenbalken
     zusammengefügten Hallen am Ufer der Seine. An der dem FIuss
     abgewandten Seite öffnete sich ein unregelmäßig geformter,
     staubiger Platz vor den Gebäuden.
    Hier erblickte ich Bauern,
     Stallknechte und allerlei zwielichtige Gestalten, die gebundene Rinder,
     Schweine, Ziegen, Kaninchen, Hühner und auch manches verletzte oder
     alte Pferd mit groben Worten und noch gröberen Schlägen zu den
     Schlachthöfen trieben. Noah selbst wird niemals ein derart erbärmliches
     Klagen vernommen haben! Die Protestlaute der größeren Tiere
     klangen mir wie das verzweifelte Flehen erwachsener Menschen in den Ohren,
     die Schreie der kleineren Tiere gemahnten mich an das Weinen von Kindern.
     Dieses animalische Klagen und die menschlichen Flüche und Spottworte,
     das Rumpeln eisenbeschlagener Karrenräder auf Steinpflaster und das
     markerschütternde Brüllen, das aus dem Innern der Schlachthöfe
     drang, bildeten zusammen einen derart infernalischen Lärm, dass ich
     mir am liebsten die Ohren zugehalten hätte.
    Noch schlimmer war jedoch die
     andere, die der Seine zugewandte Seite der Schlachthöfe. Denn hier
     war alles voller Blut: Aus offenen Steinrinnen und tönernen Rohren
     ergoss sich beständig der Lebenssaft der Tiere aus dem Gebäude
     auf den Uferstreifen, der wohl auf hundert Schritte Länge braunrot
     war und noch morastiger als andernorts. Auch sah ich überall
     Innereien und hin und wieder gar einen abgeschlagenen Ochsenschädel.
     Rot färbte sich das Wasser der Seine und dünne Blutfäden
     wurden von der Strömung mitgetrieben, Richtung Place de Greve und
     Notre-Dame.   
    Es stank so sehr, dass ich
     kaum zu atmen wagte. Dicke, schillerndschwarze Fliegen standen in großen,
     dunklen Wolken über dem roten Boden und den

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