In Nomine Mortis
Kopf und sprach einen Segen. »Auch du sollst keine
Furcht mehr haben«, sagte er dann und fügte noch hinzu: »Der
Segen des Mönches wird dieses Schiff fortan vor Unglück
bewahren.« Seine letzten Worte überraschten mich nicht wenig,
schließlich war Heinrich von Lübeck, um den es sich doch
unzweifelhaft handelte, so grausam aus dieser Welt geschieden.
Nach weiteren Worten der Tröstung
wandten wir uns zum Gehen. Meister Philippe war nun begierig darauf, ins
»Haus zum Hahn« zu gehen und dem Reeder aus Lübeck von
Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten.
Wir waren schon an der
Laufplanke, als sich der Inquisitor noch einmal umdrehte und den
Steuermann wie beiläufig fragte: »War die Kogge eigentlich
unbeladen, als sie mit dem sterbenden Kapitän in den Hafen segelte?«
Gernot blickte einen Moment
verwirrt drein, dann zuckte er die Achseln. »Ich habe es selbst
nicht gesehen, doch man sagt, dass einige Felle an Bord gewesen seien,
dazu ein paar Säcke, die vielleicht Linsen enthielten oder Erbsen
oder etwas Ahnliches, da widersprechen sich die Leute in Lübeck.
Losgesegelt ist sie mit einer ganzen Ladung Bier für Oslo. Dort
allerdings ist die Kogge nie eingelaufen. Die Fässer jedoch waren
nicht mehr im Frachtraum, als die ›Kreuz der Trave‹ endlich
in ihre Heimat zurückkehrte.«
»Und in Paris? Habt ihr
etwas gebracht? Habt ihr etwas geladen?« Gernot schüttelte den
Kopf. »Wir sind mit Ballast hierher gesegelt. Bisher haben wir auch
noch nichts geladen. Weiß der Himmel, was mein Herr hier zu laden wünscht.«
»Er hat dir nichts
gesagt?«, forschte der Inquisitor nach. »Keine Andeutung?
Keine Anweisung, etwa Fässer zu kaufen oder Kisten oder Säcke?«
»Nein, nichts bislang.
Die Laderäume sind leer.«
»Bis auf ein sündiges
Weib«, sagte Meister Philippe und lächelte dünn, »obwohl
du dir doch so viele Sorgen machst über das Schicksal dieses Schiffes
und du doch weißt, dass Frauen an Bord Unglück bringen.«
Als ich dies übersetzt hatte, wurde Gernot dunkelrot und begann zu
zittern — doch da war der Inquisitor schon die Laufplanke
hinuntergestiegen und ich beeilte mich, ihm zu folgen.
*
Wir schritten ein Stück
die Seine entlang, stromab, bis wir nach rechts in die Rue Saint-Denis
einbogen, die große Straße, die von Nord nach Süd ganz
Paris durchquert.
Hier drängten sich Bürgersleute
und Mägde, Händler und Mönche, Ritter und Bettler, Vaganten
und Juden. Das Pflaster war beschmutzt vom Kot der Ochsen, welche die
schweren Karren der Fuhrleute zogen, und der Esel, auf denen Wandertrödler
allerlei Waren zu Markte brachten. Schweine und Hunde flitzten zwischen
den Menschen dahin, wühlten im Dreck und bekamen wohl mancherlei
Tritte, wenn sie nicht schnell genug beiseite sprangen. Das Quieken,
Bellen und Heulen der Tiere mischte sich mit dem Rattern der
eisenbeschlagenen Karrenräder und dem Geschrei der Marketender und
dem Flehen der Bettler; auch hörte ich manch lästerlichen Fluch.
Vor einem Haus hatte sich ein zerlumpter Mann auf ein leeres Fass gestellt
und redete wirr. Er war laut und gestikulierte, als wären seine Arme
die Flügel einer Windmühle im Sturm. Er sprach vom Ende der Welt
und davon, dass die Juden die Brunnen vergiften, um gute Christenmenschen
zu töten. Kaum jemand hörte ihm zu. Plötzlich öffnete
sich in einem der oberen Stockwerke des Hauses, vor dem er sich
aufgestellt hatte, ein Fenster und auf den selbst ernannten
apokalyptischen Prediger regneten die Exkremente einer zehnköpfigen
Familie herab. Und holla, nun war ihm alle Aufmerksamkeit sicher!
Schadenfreude ist eine Sünde, der HERR möge sie mir nachsehen -
zumal ich doch viel schwerere Schuld auf mich geladen habe —, doch
freute ich mich kaum weniger als die Kerle und Dirnen, die sich nun um den
Unglücklichen, gewaltig Fluchenden scharten und ihn verhöhnten.
Unter Schimpf und Schande schlich er davon, stinkend wie ein Aussätziger,
verfolgt von Kindern, die ihn mit Steinen und Stöcken bewarfen.
Si me persecuti sunt et
vos persequentur si sermonem meum servaverunt et vestrum servabunt.
Wir bogen nach einigen
hundert Schritt links in die Rue Saint-Martin, die schmaler war als die
große Straße und deren Häuserzeilen mir etwas weniger
hoch und prachtvoll dünkten. Doch schoben sich auch hier Menschen
ohne Zahl und scheinbar
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