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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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ohne Ziel mal hier-, mal dorthin, sodass wir uns
     weniger auf geradem Wege, denn in einer Art Zickzack zwischen Menschen und
     Unrat vorwärtsbewegten. Wir überquerten den Markt von Les
     Halles, wo Händler und Bauern Weizen scheffelweise anboten, Starkbier
     in Fässern, Feuerholz in Bündeln und Wein, so viel, dass man
     damit einen ganzen See hätte füllen können. Weiber standen
     schwatzend am Brunnen — einem der wenigen von Paris, in dem man
     frisches, sauberes Wasser schöpfen konnte — und wechselten unzüchtige
     Worte mit den Knechten, die, von schwerer Arbeit und wohl auch ungehörigen
     Gedanken erhitzt, hier mit einer Kelle Nass ihren Kopf kühlten.
    Auf der Mitte des Platzes,
     direkt neben dem Brunnen, erhob sich einer der berüchtigtsten Galgen
     der Stadt. Dort hing die halb verweste Leiche eines Strauchdiebes, den
     man, wie mir Meister Philippe unter Schlagen des Kreuzes erklärte,
     vor drei Wochen seiner gerechten Strafe zugeführt hatte. Raben
     umschwirrten ihn und ich musste daran denken, was mir einst ein altes
     Marktweib in Köln zugeflüstert hatte: dass jeder Rabe die Seele
     eines unerlösten Sünders in sich trägt. Auch ich schlug das
     Kreuz und hastete weiter.
    Hinter Les Halles erhob sich
     die Kirche Innocents — so benannt nach dem Friedhof der unschuldigen
     Kinder, der sich im Schatten der Mauern des Hauses GOTTES erstreckte.
    Das »Haus zum Hahn«,
     das ich endlich erblickte, lag nicht weit vom Katzenplatz entfernt - dem
     Ort, an dem sich die Wandertrödler Frankreichs trafen, um alte
     Kleider, zerbeulte Töpfe und andere windschiefe Waren feilzubieten.
    Das Gebäude selbst hatte
     jedoch nichts mit den schäbigen Händlern vor seinen Pforten
     gemein: Groß war es, drei Stockwerke hoch, darüber ein schön
     geschindeltes Dach, aus dessen Giebel ein Kran ragte, mit dem man Säcke
     und Fässer in den Speicher heben konnte. Die Fenster glänzten in
     hellem und in gelbem Butzenglas, das Tor war massiv, ein schönes
     Schild schwankte leicht knarzend im Wind. Auf ihm war, kunstvoller als
     üblich, das Tier gemalt, welches diesem Anwesen seinen Namen gab.
    Meister Philippe klopfte
     dreimal kräftig an das Tor. Wir mussten nur wenige Augenblicke
     warten, bis uns eine Magd öffnete, ob unseres Habits große
     Augen machte und uns unter vielerlei Knicksen und Ehrbezeugungen ins
     »Haus zum Hahn« bat.
    Sie führte uns in ein
     großes Studierzimmer, dessen Wände mit Regalen verstellt waren,
     in denen wohl hundert oder mehr Bücher standen, und dessen Fenster
     zur Vorderseite hinausgingen und einen guten Blick auf den Katzenplatz und
     die Straße boten. Doch der Mann, der sich hier an einem Stehpult
     über einen Folianten beugte, hatte kein Auge für das Leben vor
     seinem Haus. Er merkte von seiner Lektüre auf und starrte uns für
     einen Moment erschrocken an, bevor er seine Selbstbeherrschung
     wiedererlangt hatte und uns würdevoll zunickte.
    Richard Helmstede war ein großer,
     massiger Mann von vielleicht fünfzig Jahren, ein Reeder von
     imposanter Gestalt, mit rotem Gesicht und dünnem Haarkranz. Er war in
     Brokat und Atlasseide gehüllt, seinen Wams umspannte eine schwere,
     goldene Kette. Seine Füße steckten in Stiefeln aus weichem
     Cordobaleder. Derartiges Schuhwerk kostete über zwanzig Sous - eine
     Summe, von der eine Familie in Paris wohl ein Vierteljahr leben mochte.
    Nemo potest duobus dominis
     servire aut enim unum odio habebit et alterum diliget aut unum sustinebit
     et alterum contemnet non potestis Deo servire et mamonae.
    Meister Philippe stellte uns
     vor und kam ohne Umschweife zur Sache: Er erklärte, dass Heinrich von
     Lübeck getötet worden sei und wir Inquisitoren nun Helmstede
     aufsuchten, da der tote Mönch doch der Beichtvater des ebenfalls erst
     vor kurzem verstorbenen Bruders des Reeders gewesen sei. Er verriet jedoch
     nicht, woher er dies wusste. Das gerötete, fleischige Gesicht Richard
     Helmstedes verfärbte sich, wurde zuerst blass wie Leinwand, dann blau
     wie eine überreife Weintraube. Einen Moment lang befürchtete
     ich, ihn würde der Schlag ereilen. Tatsächlich wankte er, hielt
     sich am Lesepult fest und ging dann mit schleppendem Schritt zu einem
     hochlehnigen Stuhl, auf den er kraftlos niedersank.
    »Auch Bruder Heinrich«,
     murmelte er. »Oh, welcher Fluch mag nur auf uns lasten?«
    »Das genau würde
     ich auch gerne wissen«, sagte mein Meister, als der Reeder wieder
     etwas zu Atem gekommen

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