In Nomine Mortis
ohne Ziel mal hier-, mal dorthin, sodass wir uns
weniger auf geradem Wege, denn in einer Art Zickzack zwischen Menschen und
Unrat vorwärtsbewegten. Wir überquerten den Markt von Les
Halles, wo Händler und Bauern Weizen scheffelweise anboten, Starkbier
in Fässern, Feuerholz in Bündeln und Wein, so viel, dass man
damit einen ganzen See hätte füllen können. Weiber standen
schwatzend am Brunnen — einem der wenigen von Paris, in dem man
frisches, sauberes Wasser schöpfen konnte — und wechselten unzüchtige
Worte mit den Knechten, die, von schwerer Arbeit und wohl auch ungehörigen
Gedanken erhitzt, hier mit einer Kelle Nass ihren Kopf kühlten.
Auf der Mitte des Platzes,
direkt neben dem Brunnen, erhob sich einer der berüchtigtsten Galgen
der Stadt. Dort hing die halb verweste Leiche eines Strauchdiebes, den
man, wie mir Meister Philippe unter Schlagen des Kreuzes erklärte,
vor drei Wochen seiner gerechten Strafe zugeführt hatte. Raben
umschwirrten ihn und ich musste daran denken, was mir einst ein altes
Marktweib in Köln zugeflüstert hatte: dass jeder Rabe die Seele
eines unerlösten Sünders in sich trägt. Auch ich schlug das
Kreuz und hastete weiter.
Hinter Les Halles erhob sich
die Kirche Innocents — so benannt nach dem Friedhof der unschuldigen
Kinder, der sich im Schatten der Mauern des Hauses GOTTES erstreckte.
Das »Haus zum Hahn«,
das ich endlich erblickte, lag nicht weit vom Katzenplatz entfernt - dem
Ort, an dem sich die Wandertrödler Frankreichs trafen, um alte
Kleider, zerbeulte Töpfe und andere windschiefe Waren feilzubieten.
Das Gebäude selbst hatte
jedoch nichts mit den schäbigen Händlern vor seinen Pforten
gemein: Groß war es, drei Stockwerke hoch, darüber ein schön
geschindeltes Dach, aus dessen Giebel ein Kran ragte, mit dem man Säcke
und Fässer in den Speicher heben konnte. Die Fenster glänzten in
hellem und in gelbem Butzenglas, das Tor war massiv, ein schönes
Schild schwankte leicht knarzend im Wind. Auf ihm war, kunstvoller als
üblich, das Tier gemalt, welches diesem Anwesen seinen Namen gab.
Meister Philippe klopfte
dreimal kräftig an das Tor. Wir mussten nur wenige Augenblicke
warten, bis uns eine Magd öffnete, ob unseres Habits große
Augen machte und uns unter vielerlei Knicksen und Ehrbezeugungen ins
»Haus zum Hahn« bat.
Sie führte uns in ein
großes Studierzimmer, dessen Wände mit Regalen verstellt waren,
in denen wohl hundert oder mehr Bücher standen, und dessen Fenster
zur Vorderseite hinausgingen und einen guten Blick auf den Katzenplatz und
die Straße boten. Doch der Mann, der sich hier an einem Stehpult
über einen Folianten beugte, hatte kein Auge für das Leben vor
seinem Haus. Er merkte von seiner Lektüre auf und starrte uns für
einen Moment erschrocken an, bevor er seine Selbstbeherrschung
wiedererlangt hatte und uns würdevoll zunickte.
Richard Helmstede war ein großer,
massiger Mann von vielleicht fünfzig Jahren, ein Reeder von
imposanter Gestalt, mit rotem Gesicht und dünnem Haarkranz. Er war in
Brokat und Atlasseide gehüllt, seinen Wams umspannte eine schwere,
goldene Kette. Seine Füße steckten in Stiefeln aus weichem
Cordobaleder. Derartiges Schuhwerk kostete über zwanzig Sous - eine
Summe, von der eine Familie in Paris wohl ein Vierteljahr leben mochte.
Nemo potest duobus dominis
servire aut enim unum odio habebit et alterum diliget aut unum sustinebit
et alterum contemnet non potestis Deo servire et mamonae.
Meister Philippe stellte uns
vor und kam ohne Umschweife zur Sache: Er erklärte, dass Heinrich von
Lübeck getötet worden sei und wir Inquisitoren nun Helmstede
aufsuchten, da der tote Mönch doch der Beichtvater des ebenfalls erst
vor kurzem verstorbenen Bruders des Reeders gewesen sei. Er verriet jedoch
nicht, woher er dies wusste. Das gerötete, fleischige Gesicht Richard
Helmstedes verfärbte sich, wurde zuerst blass wie Leinwand, dann blau
wie eine überreife Weintraube. Einen Moment lang befürchtete
ich, ihn würde der Schlag ereilen. Tatsächlich wankte er, hielt
sich am Lesepult fest und ging dann mit schleppendem Schritt zu einem
hochlehnigen Stuhl, auf den er kraftlos niedersank.
»Auch Bruder Heinrich«,
murmelte er. »Oh, welcher Fluch mag nur auf uns lasten?«
»Das genau würde
ich auch gerne wissen«, sagte mein Meister, als der Reeder wieder
etwas zu Atem gekommen
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