In Nomine Mortis
Paris ließ
ich lieber unerwähnt und ebenso verriet ich nicht, wie ich letztlich
darauf gekommen war, dass Heinrich von Lübeck bei Leas Vater gewesen
sein musste. Trotzdem hoffte ich, dass die junge Jüdin nun verstand,
warum wir in ihrem Haus waren.
Lea nickte. »Ich danke
Euch für Eure Offenheit, Bruder Ranulf«, sagte sie ernst. Dann
hob sie den Kopf, sah mir direkt in die Augen und ich hätte schwören
mögen, dass sie mir etwas ungemein Wichtiges mitteilen wollte. Doch
genau in jenem Moment traten der Inquisitor und der Geldwechsler wieder in
die Bibliothek - und Lea senkte das Haupt und trat schweigend und demütig
zurück.
*
Meister Philippe war würdevoll
und höflich, als er gemessenen Schrittes das Zimmer durchmaß.
Doch ich kannte den Inquisitor inzwischen gut genug, um sofort zu
erkennen, dass er loderte von innerem Zorn.
Wir wechselten noch ein paar
unverbindliche Worte mit Nechenja ben Isaak. Ich wagte nicht, zu Lea hinüberzublicken,
die sich inzwischen zu einem Schreibpult zurückgezogen hatte und dort
mit gesenktem Haupt wartete. Ich befürchtete, dass der Inquisitor
sonst meinen Blick auffangen und wenig schmeichelhafte Dinge über
mich denken mochte. So bemühte ich mich, beflissen zu nicken, als der
Geldwechsler seine Abschiedsworte sprach.
Erst, als wir schon an der Tür
der Bibliothek standen und Nechenja ben Isaak einem seiner Diener geläutet
hatte, auf dass er uns hinausgeleiten möge, wandten wir uns alle, wie
es die Höflichkeit gebietet, der anwesenden Dame zu.
Bescheiden trat Lea hinter
dem Schreibpult hervor, einen kleinen Kodex in der Hand haltend. Doch
gerade in jenem Augenblick, da sie sich zu uns verbeugte, glitt ein
Seidenband, das ihr als Lesezeichen diente, zwischen den Seiten heraus und
segelte zu Boden. Rasch hob sie das rote Band auf. So rasch, dass sie
strauchelte, einen Schritt nach vorne tat — und für einen
Augenblick in meine Arme taumelte.
Oh, welch süße, sündige
Wonne mich in jenem Moment durchschauerte, da ich ihren Körper
auffangen durfte! Sie, für einen Augenblick wenigstens, in den Armen
zu halten, bevor ich ihr — rasch, verlegen und ungeschickt —
mit schamrotem Gesicht auf die Beine half.
Plötzlich fühlte
ich, wie mir ein Stück Pergament in die Hand geschoben wurde. Lea
hatte mir unauffällig einen Fetzen in die Rechte gedrückt, als
ich ihr beistand. Für einen winzigen Moment nur blickte sie mich
beschwörend an, dann senkte sie schnell das Haupt. Eine
Entschuldigung murmelnd und mit einem tiefen Knicks sagte sie uns Lebewohl
und verschwand noch vor uns aus der Bibliothek. Der Inquisitor und ihr
Vater mussten denken, dass sie sich ob ihres unschicklichen Sturzes schämte.
Ich jedoch stand in der Bibliothek, als hätte mich der Flügel
eines Engels gestreift. Das Pergament brannte wie Feuer in meiner Hand.
Wohin damit? Meine Kutte hatte ja nicht einmal eine Tasche. Also ballte
ich mit schwitzenden Fingern eine Faust und hoffte, so den Fetzen zu
verbergen, bis ich irgendwann Gelegenheit fände, ihn unbeobachtet zu
lesen. Denn dass er eine Botschaft enthielt, bezweifelte ich nicht einen
Augenblick. Wahrscheinlich hatte Lea sie hastig hingekritzelt, als sie ans
Schreibpult getreten war, während Meister Philippe und ich die
letzten Worte mit ihrem Vater gewechselt hatten — und keiner sie
eines Blickes gewürdigt hatte.
Auf dem Weg zurück zu
unserem Kloster bemühte ich mich, stets einen halben Schritt hinter
dem Inquisitor zu gehen, damit er nicht meiner eines Mönches so unwürdigen
Faust ansichtig wurde. Doch diese Vorsicht war, wie sich rasch
herausstellte, unnötig, denn Meister Philippe ließ nun seinem
Zorn und mit ihm seinem Körper freien Lauf. In mächtigen
Schritten eilte er die Straße hinunter und achtete meiner so wenig
wie der Hitze, welche die Luft über den engen Straßen buk.
»Der Jude lügt!«,
schnaubte der Inquisitor. »Ich möchte wissen, was Nechenja ben
Isaak alles bei den Mauren in Spanien getan hat, und warum er dann
fortgegangen ist. Seine beiden Söhne, sagt er, sind Rabbiner
geworden. Einer in Speyer - und der andere? Der Geldwechsler wand sich ein
wenig, doch schließlich gestand er es mir: Sein zweiter Sohn ist
Rabbiner in Lübeck!«
Mir, der ich eine geheime
Botschaft von Nechenja ben Isaaks drittem Kind in Händen hielt,
schwindelte so,
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