In Nomine Mortis
nicht
einmal die Stimme. »Du hättest Jacquette nicht gehen lassen
sollen!«, sagte er leise. »Du hättest sie festhalten, du
hättest die beiden Sergeanten rufen müssen! Du bist Inquisitor!
Sie hätten dir gehorcht!«
»Aber die Schönfrau
hat sich mir offenbart«, erwiderte ich. »Sie hat mir vertraut.«
»Welchen Wert hat das
Vertrauen von Menschen, die nicht denken können?«, tadelte mich
Meister Philippe.
»Sie hat dir vertraut,
fürwahr. Doch was bedeutet dies vor allem anderen? Dass sie dir als Mönch
und als Mann GOTTES vertraut, dass du ihre Seele zu erretten vermagst.
Sind wir Männer geistlichen Standes nicht einzig deshalb
herausgehoben aus der Menge der Menschen? Wir retten Seelen. Du jedoch
magst sie zwar vor dem Kerker bewahrt haben, hast sie aber desto sicherer
dem ewigen Verhängnis ausgeliefert. Außerdem«, und hier lächelte
er plötzlich, »hätte ich der jungen Schönfrau gerne
selbst ein paar Fragen gestellt.« Nun musste auch ich lächeln,
denn so gut kannte ich Meister Philippe nun doch schon: Es reute ihn, dass
er den einzigen Menschen nicht befragen konnte, der uns offensichtlich
neue Spuren in Bezug auf diese grausame Tat aufzeigen konnte.
»Ihr habt nur meinen,
wahrscheinlich höchst unvollkommenen Bericht«, erwiderte ich
und neigte demütig das Haupt. Der Inquisitor segnete mich. »Immerhin
den haben wir. Es mag mir eine Lektion sein wie dir: Ich nämlich
vergaß meine Demut. Wärest du so gewesen, wie ich es dir riet,
die Schönfrau hätte sich dir vielleicht nie offenbart. Doch da
du so bist, wie du bist, und diese junge Dirne tief in deine Seele zu
schauen vermag, vertraute sie sich dir an. So haben wir manche Dinge
erfahren, von denen wir bis dahin nichts ahnten.«
»Es gibt zwei Mörder«,
sagte ich eifrig.
Meister Philippe schüttelte
den Kopf. »Es gibt einen Mörder. Und es gibt einen Unbekannten,
der sich irgendwann später - genau hat Jacquette das nämlich
nicht gesagt und du hast vergessen, sie noch einmal danach zu befragen -
an dem Toten zu schaffen gemacht hat. Ein paar Augenblicke nur? Eine oder
gar zwei Stunden? Womöglich war Heinrich von Lübeck noch gar
nicht tot, als der zweite Unbekannte sich über ihn beugte. Hat dann
seine letzte, in Blut geschriebene Botschaft eher etwas mit jenem zweiten
Unbekannten zu tun? Oder hat jener Zweite die Hand des Toten genommen, um
jene Worte zu schreiben? Doch wozu? Haben Mörder und zweiter
Unbekannter etwas miteinander zu schaffen? Oder kam der Zweite nur zufällig
seines Weges?
Oh, ich hätte die Schönfrau
gerne so vieles gefragt: Hinkte vielleicht einer von beiden oder schwankte
wie ein Betrunkener? Trugen sie noch etwas am Leib außer ihren
Kleidern, einen Beutel vielleicht oder eine Waffe? Trug keiner der beiden,
obwohl sie doch nachts in den Gassen unterwegs waren, eine Fackel bei
sich? Vielleicht hat sie ja in der Nähe auf dem Pflaster gelegen?«
Beschämt blickte ich zu
Boden. »Nichts dergleichen habe ich gefragt«, murmelte ich.
Der Inquisitor nickte.
»Gräme dich nicht. Mit klugen Fragen entlockt man Menschen ein
Wissen, von dem sie bis dahin nicht einmal wussten, dass es in ihrem Gedächtnis
vorhanden ist. Du wirst diese Kunst noch lernen. Jetzt danke ich dir erst
einmal für alles, was du mir trotzdem erzählt hast. Ich weiß
nun so viel mehr als noch vor einer Stunde, dass deine Lässlichkeiten
mehr als aufgewogen sind. Ich danke dir für deine Offenheit.«
Der Inquisitor segnete mich
wieder. »Nun werde ich mich in meine Zelle zurückziehen. Ich
brauche Zeit, um über diese neuen Entwicklungen nachzudenken.«
Ich verneigte mich und wagte
nicht, mein letztes Anliegen vorzubringen. Doch auch dieses hatte Meister
Philippe längst erraten. »Doch bevor ich in meine Zelle gehe,
werde ich beim Prior vorbeischauen«, sagte er und lächelte
verschwörerisch. »Ich werde ihm sagen, dass eine unbekannte Gönnerin
eine stumme Messe für Heinrich von Lübeck wünscht. Ich
glaube nicht, dass der Ehrwürdige Vater dieses Anliegen ablehnen
wird.«
9
DIE LOCKENDE PFORTE DER HÖLLE
Der nächste Tag, der der
heiligen Edeltraud geweiht war, sollte mich endgültig auf den Weg in
die Verdammnis führen. Ich kniete zur Vesper in der Kirche, umgeben
von meinen Mitbrüdern, doch meine Gedanken waren nicht die ihren. Als
der Vorsänger im
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