In Nomine Mortis
Paris. Dort wollte ich sehen, ob ich das Rätsel der
Abreise zu lüften vermochte. So dankte ich denn dem Alten, segnete
ihn und eilte davon.
Zunächst wandte ich mich
zur Rue Saint-Denis, schließlich bog ich ab zum Katzenplatz. Dort,
wo noch ein paar Wochen zuvor die Trödler aus ganz Frankreich ihre
schäbigen Waren feilgeboten hatten, hatten sich nun Bauern, fahrendes
Volk und wohl auch viele Bürgersleute aus anderen Städten
niedergelassen. Mann und Weib, Alt und Jung lagerte hier ohne Rücksicht
auf den Stand und die Schicklichkeit. Decken, leere Getreidesäcke und
altes Stroh dienten überall als Schlafstatt, dazwischen standen
Handkarren und abgespannte Ochsenwagen, hoch beladen mit Säcken,
Kisten und allerlei Mobiliar. Es stank nach Kot, Urin und all den anderen
Ausdünstungen von Menschen, die sich seit Tagen in der Sommerhitze
nicht mehr vom Fleck gerührt hatten. Kleine Kinder schrien, ich hörte
Dirnen lästerlich fluchen und Männer aufrührerische Reden
schwingen. Doch noch machte jedermann mir Platz, als ich mit wehender
Kutte durch die Menge eilte.
Hinter einem der mit
Habseligkeiten überladenen Karren blieb ich stehen und beobachtete
das »Haus zum Hahn«. Prachtvoll stand es da wie eh und je
— so, als könne das menschliche Gewühl und Elend vor
seinen Mauern ihm nichts anhaben. Ich hatte erwartet, Diener und Matrosen
hinein- und hinauseilen zu sehen, beladen mit Vorräten und vielleicht
sogar schon dem Gepäck des Reeders und seiner Gattin. Ich hätte,
so hatte ich es mir auf meinem Weg vom Hafen kommend zurechtgelegt, einen
dieser Diener auf dem Platz angesprochen, ihn unauffällig an einen
Ort geführt, wo uns niemand sah, und mit der Strenge des Inquisitors
befragt.
Doch nun stand ich ratlos
hinter dem Karren und wusste nicht mehr, was ich tun sollte. Da mir nichts
Besseres einfiel, nahm ich mir vor, zunächst einmal zu warten. Hätte
ich nur Geduld, würde ich früher oder später sicherlich
jemanden erblicken.
Doch es kam genau
andersherum: »Seht an, der junge Mönch! Wie freue ich mich,
Euch endlich wiederzusehen, Bruder Ranulf!«, ertönte eine
Stimme hinter mir.
Erschrocken fuhr ich herum
— und stand vor Klara Helmstede. Die Reedersgattin hatte sich einen
schlichten, braunen Schleier übergeworfen, sicherlich deshalb, um auf
dem Katzenplatz kein unnötiges Aufsehen zu erregen mit prachtvollen
Gewändern und funkelndem Geschmeide. Sie war wieder allein unterwegs,
kein Diener, keine Magd war bei ihr. Unter dem Schleier drängte sich
machtvoll ihr blondes Haar hervor, ihre blauen Augen blitzten mich spöttisch
an und ihr weites Gewand trug sie so locker, dass ich unwillkürlich
auf die helle Haut unterhalb ihres Halses starren musste. »Pax vobiscum«, murmelte ich verwirrt.
Da lachte sie wieder, so
laut, dass es mir peinlich war, hier auf dem Platz, wo uns doch jeder
sehen mochte. »Frieden, ja Frieden hätten wir alle gerne!«,
rief sie.
Ich beschloss, mich weder zu
rechtfertigen, noch lange um den heißen Brei herumzureden. »Warum
wollt Ihr Paris verlassen?«, fragte ich. »Und wohin?«
»Immerhin«,
erwiderte sie und wurde ernst, »das ist Euch nicht entgangen.«
Dann blickte sie mich
forschend an. »Ihr seid nicht zufrieden mit dem, was Ihr schon
wisst, junger Inquisitor, habe ich Recht? Ihr wollt mehr wissen von meinem
Gatten, von meinem Schwager und seiner letzten, verfluchten Fahrt auf
dieser Kogge - und von unserem neuen Ziel.«
Ich neigte mein Haupt und
verzichtete auf eine Antwort. »Nun gut«, sagte sie. »Erweist
mir die Ehre und nehmt ein frühes Abendmahl im ›Haus zum Hahn‹
mit mir ein, dann werde ich Euch ein paar Geschichten erzählen, die
Euch gewiss zu denken geben werden.«
»Ich soll mit Euch ins
Haus kommen?«, stammelte ich - zu verblüfft, um in diesem
Moment an meine Würde zu denken. Da lachte Klara Helmstede wieder ihr
beunruhigendes, fröhliches, auffälliges Lachen. »Ja,
Bruder, Ihr sollt mit mir ins Haus kommen! Oder wollt Ihr, dass ich Euch
hier auf dem Katzenplatz alles erzähle? Oder dass wir uns in die nächste
Taverne setzen, um sauren Wein und die Blicke des fahrenden Volkes zu
genießen?«
So zögerte ich nur kurz
— dann schlug ich meine Kapuze hoch und folgte Klara Helmstede zum
Haus. Der Drang, endlich das Geheimnis der Kogge zu ergründen, trieb
mich. Das
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