In Santiago sehen wir uns wieder
sich hin, man erkennt sich wieder, geht weiter, überholt, bleibt zurück. Der Kanal von Kastilien. Wir überqueren ihn und kommen in Frómista an. »Ob ich Mary wiederfinde, Pascal?« - »Ganz sicher, Bella.« Vor der Kirche San Martin treffen wir Gilbert. »Die haben uns in San Nicolás sogar die Füße gewaschen«, sagt er, noch ganz beeindruckt, und: »Ich habe Mary gesehen.« In der Kirche ist sie nicht, in der Herberge auch nicht, aber da kommt sie plötzlich aus dem Restaurant. Freude zu dritt. Wir sitzen im Schatten eines Baumes und tischen auf. Ausführlich speisen wir. Pascal zeichnet mich. Die Sonne schiebt uns um den Baum herum, wir schlafen, es wird Nachmittag.
Plötzlich höre ich deutsche Laute - »rufe mich an in der Not«. Menschen stehen drüben vor dem Westportal, sie singen und beten. Es entsteht eine Andacht, die mich über die Distanz hin erfasst und berührt. Sie gehen in die Kirche, lauschen, ohne zu reden, dem Flötenspiel des Pfarrers. Im Klang der Stille verwandelt sich der Raum, aus einem Museum erwacht er zur Lebendigkeit eines Gotteshauses. Das Flötenspiel endet, die Menschen verharren schweigend, Minute um Minute. Langsam gehe ich zu dem Pfarrer und bedanke mich für Musik und Stille. »Darf ich Sie segnen?« fragt er. - Es ist, als hülle er mich in ein neues Gewand, in das Gewand des Pilgers, das schützt und trägt. Es ist ein weißes Gewand.
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Irgendwann brechen wir auf, Mary, Pascal und ich. Wir wollen so lange gehen, wie wir Lust haben, und gegebenenfalls draußen übernachten. Am rostigen Wasserhahn einer verfallenen Villa waschen wir uns, dann ziehen wir weiter in den Abend hinein. In Villovieco lassen wir uns unter dem Vordach einer Kirche nieder. Pascal hilft beim Aufräumen in der Kirche - gerade ist die Fiesta der Heiligen Isabella zu Ende gegangen. Die Frauen fragen uns nach unseren Namen. Eine bringt Mandeln und Kuchen. Ob wir sonst noch etwas für die Nacht bräuchten? Nein danke. Wir richten uns ein. Julia, Carmen und Maria kommen zurück, um einer Freundin die Fremden zu zeigen. »In welcher Sprache verständigt ihr euch?« fragen sie. Fast liegen wir in den Schlafsäcken, als uns Isabella mit ihrem Mann besucht. Sie geht auf jeden einzelnen von uns zu und fragt: »Warum machst du den Camino?« Sie will es genau wissen. »Ich mache ihn für mich, um mich zu finden und das Göttliche in mir«, sage ich, erstaunt über die Klarheit, mit der diese Worte aus mir herausfinden. »Wisst ihr«, sagt sie - und ihr Mann pflichtet ihr bei -, »wir können nicht verstehen, dass man so viel Zeit, Energie und Geld aufwendet, um wochenlang unterwegs zu sein. Dies immer zu Fuß, gehen, gehen, gehen...« - »Im Gehen kann man sein Hirn leeren. Das tut gut, denn dann ist wieder Platz für Neues«, sagt Pascal.
Die Nacht. Das Licht der Straßenbeleuchtung vertreibt Mond und Sterne. Wie ich noch einmal zu meinem Rucksack gehe, schaltet sich die Festbeleuchtung ein und hüllt alles in orangefarbenes Licht, den Raum, die Kuppeln, die Bögen. Schneidende Kälte weckt mich frühmorgens, und dann, als wir alle drei aufwachen, ist es hell und warm. Wir steigen hinunter zum Jakobsweg. Am Dorfrand hält ein Mann sein Auto an und reicht jedem von uns ein Bonbon.
Villovieco - Villalcázar de Sirga
Dienstag, 8. Juli
Villalcázar de Sirga. Wir sitzen in der Bar. »Eigentlich machst du keine richtige Pilgerreise, Bella«, sagt Pascal, »denn du denkst an das, was du schreiben musst. Das nächste Mal wirst du es ganz anders erleben.« - »Es ist die Bedingung für mein Hiersein«, antworte ich. »Es ist das Wandern auf einem Grat, oder Gehen im Spagat. Ich weiß, aber glaub’ mir, ich erlebe! Wenn ich mir abends Notizen mache, erlebe ich alles noch einmal. Gut, das nächste Mal...«
Die Reste eines bedeutenden Klosters des Templerordens. Die Kirche Santa Maria la Blanca, zwischen Romanik und Gotik, verstümmelt, zerstört und wieder aufgebaut. Eindrucksvoll bizarr. Bauarbeiten im Innern. Durch den Hintereingang schmuggeln wir uns hinein. Jeder sieht uns, keiner wirft uns hinaus. Mary singt Obertöne, die Gewölbe füllen sich mit überirdischen Klängen. Das Reden der Arbeiter verwandelt sich in Gesang, ihr Hämmern in rhythmische Untermalung. »Alle Geräusche verschmelzen zu einem klingenden Teppich, und ich bin mittendrin«, sagt Pascal. Ich bin überrascht. »Du hast mir das mit den Farben erklärt, ich habe es mit den Geräuschen ausprobiert, es funktioniert«, ist die
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