In Santiago sehen wir uns wieder
unter dir geklingelt.« - »Ja, da gibt es nur eins: keep smiling, keep cool und benütze Ohropax - ich bin schon bei der dritten Packung.« Da es viele E-Mails bei Versuchung Nummer fünf gibt, reicht es nur noch für einen Sekundenblick in Gaudis Bischofspalast und einen kurzen Besuch in der Kathedrale, bevor sie schließt. Aber! Als ich auf einer Bank im Chor sitze, fließt Feuer von hoch oben auf mich herab. Es erfasst mich, berührt meinen Scheitel und das dritte Auge auf der Stirn. Eunate, Villalcázar de Sirga, San Miguel de Escalada, und jetzt hier, denke ich, der Jakobsweg führt durch das Wasser ins Feuer.
Dann sitze ich in einer Bar - humpelnd bin ich hingelangt, mein rechtes Fußgelenk schmerzt. Wenn das nicht der Beginn einer Sehnenscheidenentzündung ist, eines der gefürchtetsten Übel auf dem Jakobsweg. Mein mangelndes Vertrauen bei dem Gewitter neulich - Versuchung Nummer eins, eindeutig. Also ist sofortiger Gehstopp angesagt. Ich stehe am Straßenrand und hebe den Daumen, wenige Minuten später liefert mich ein Auto vor der Herberge in Santa Catalina de Somoza ab. Sylvia ist schon da. In der Nacht träume ich mich in mein Schlafzimmer nach Deutschland. Ich erschrecke, weil ich nicht mehr weiß, ob ich in Santiago war oder nicht. »Du hast abgebrochen«, sagt eine Stimme - und ich: »Gut, dann nehme ich den Weg sofort wieder auf.«
Santa Catalina de Somoza - Rabanal del Camino
Freitag, 18. Juli
Heute gilt es Abschied nehmen von Sylvia. Ich werde versuchen, die wenigen Kilometer nach Rabanal del Camino per Autostopp zu machen und mich dort ein paar Tage ausruhen. Rabanal del Camino. »Herzlich willkommen«, sagt die Hospitalera in der Gemeindeherberge. »Ich gebe dir den Raum hier oben, da hast du es ruhig, und heute Nachmittag gibt es Massage und Homöopathie.« - »Fein«, sage ich, »und du bekommst von mir eine Craniosacral-Behandlung, wenn du willst.« Sie will, beide sind wir zufrieden - und meinem Fuß geht es besser. »He, Bella, mach dich platt«, schreit Amanda plötzlich. »Siehst du die Pilgerwelle?« - Wir werfen uns in den Graben. Als wir wieder auftauchen, sagt die Hospitalera: »Die Pilger, die zum Jakobstag am 25. Juli in Santiago sein wollen, sind durch, jetzt wird es ruhiger.« Hoffentlich passen meine Füße gut auf sich auf, denke ich. »Lass es ruhig angehen, wir sorgen für uns«, rufen sie zurück. Als ich von einem kleinen Gang zurückkomme, ist mein einsamer Schlafsack umringt von einer Horde junger Pfadfinder aus Montpellier. Ich fliehe.
»He, Amanda, die gute Nachricht für einen guten Tag: Wir haben einen neuen Weggefährten!« - »Hoho, wo ist er denn?« - »Weiß ich nicht, ich habe nur seine Spuren auf meinen Pobacken gesehen, über die Arme ist er auch getrampelt. Rote Pusteln in Straßenformation.« - »Frau, das ist scharf, ein Floh?« - »Scharf nicht, aber juckend. Gib ihm einen Namen.«
- »Wie wär’s mit Flori?« - »Okay. Ich hätte nichts dagegen, wenn du ihn in deine besondere Obhut nehmen könntest. In deiner Muschel ist noch Platz?« - »Schon, aber fang ihn erst mal ein...« So liegen wir zu dritt im Schatten einer Brombeerhecke bei Rabanal. Unter uns die Meseta, flach und weit wie ein Meer. Ein weißes Wölkchen segelt langsam durch das Himmelsblau, Falter flattern gelb um meine Füße, und Mücken summen mir ins Ohr. Am Abend in der kleinen Kirche von Rabanal. Vier Mönche - einstmals Pilger - singen gregorianische Gesänge. Es ist mir, als öffne sich ein Graben und ich sähe hinunter in eine Ebene, in der die Pilger vor Jahrhunderten gen Westen zogen. Mit rauen Stimmen singen sie Lieder im Rhythmus ihrer Schritte. Ich steige hinab und reihe mich ein in den Zug.
»Amanda«, sage ich, als ich später in meinem Schlafsack liege, »ich habe einen neuen Berufswunsch.« - »Oh Bella, schon wieder, welchen denn?« - »Ich möchte Landstreicherin werden, es ist so schön, draußen zu schlafen.« - »Wenn es nicht regnet, oder?« - »Hm, im Übrigen sind es nur noch 260 km bis Santiago - wo ist überhaupt Flori? Na, ich werde morgen sehen, wo er die Nacht verbracht haben wird. Schlaf gut, Amanda!« - »Schlaf du auch gut, und wenn die Sterne vom Himmel fallen, weck mich, schau mal, sie sind zum Greifen nah!«
Rabanal del Camino - El Acebo
Samstag, 19. Juli
Erquickt steige ich am Morgen bergauf. Heute gilt es, den Mazanal-Pass zu besteigen. Ich arbeite mich auf einem schmalen Pfad zwischen dichtem Gebüsch nach oben - Farn, Erika,
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