In seinem Bann
zusammengebissene Zähne und er klang richtiggehend erbittert.
Dann wandten wir uns dem Bretterverschlag im anderen Teil des Raumes zu. Der grob gezimmerte Schuppen hatte Ähnlichkeiten mit einer herkömmlichen Gartenhütte und man musste ihn durch eine windschiefe und knarzende Tür betreten.
Neugierig trat ich über die Schwelle. Es gab eine Pritsche mit einer Campingdecke und alles, was zur Ausstattung einer einfachen Laube gehörte, wenn auch dem äußeren Erscheinungsbild angemessen, alle Gegenstände in einem heruntergekommenen Zustand waren. Das Erschreckende an dieser Installation waren jedoch die Bilder und Zeitungsausschnitte an den Wänden. Es handelte sich um Fotografien von und Berichte über reale vermisste Personen.
Als Ian mir nicht folgte, drehte ich mich nach ihm um.
»Komm rein. Das ist schrecklich. Es geht um Vermisste und Entführungsopfer«, sagte ich.
»Nein. Ich kann da nicht reingehen«, entgegnete er entschieden und jetzt erst sah ich, wie blass er geworden war.
»Was ist denn plötzlich mit dir? Du siehst ja furchtbar aus«, sagte ich besorgt, als ich zu ihm nach draußen trat.
»Sieh es dir ruhig in Ruhe an. Ich habe bloß ein bisschen Platzangst«, erwiderte er und rang sich ein Lächeln ab.
»Nein«, ich schüttelte den Kopf. »Ich habe genug gesehen. Außerdem mache ich mir Sorgen um dich. Was ist wirklich los mit dir?«
»Ich sagte doch, ich mag solche engen Räume nicht. Das ist alles.« Plötzlich klang seine Stimme wieder fest und resolut und ich ließ es vorerst dabei bewenden.
Weitere Exponate der Ausstellung waren Tracy Emins berühmtes und seit den 1990er Jahren zur Ikone der Gegenwartskunst erkorenes Lotterbett, das angeblich echte Bett der Künstlerin mit zerwühlten Laken, Zigarettenstummeln und benutzten Kondomen sowie eine zweieinhalb Meter große und irritierend detailgenaue nackte Schwangere von Ron Mueck.
Doch ich muss zugeben, dass ich seit der Hütte nicht mehr ganz bei der Sache war. Ians Reaktion beschäftigte mich noch immer. Bisher hatte er mir gegenüber noch nie eine solche menschliche Schwäche eingestanden und die Art, wie er bevorzugt in Aufzugkabinen auf mich reagierte, wollte auch so gar nicht zu einem Klaustrophobiker passen. Ich hatte das Gefühl, dass er mir ausgewichen war, mir etwas Bedeutsames verschwieg und seine abweisende Art, die keinen Widerspruch zugelassen hatte, frustrierte mich.
Dennoch verbrachten wir noch einen wundervollen Tag in Prag mit einem kleinen Mittagessen auf dem Dach von Frank Gehrys Tanzendem Haus mit Blick auf Moldau und Altstadt und dem obligatorischen Milchkaffee im berühmten Jugendstil-Kaffeehaus des Prager Gemeindehauses.
»Wenn ich dich heute Abend wirklich begleiten soll, muss ich mir jetzt noch etwas Passendes zum Anziehen kaufen«, sagte ich und schaute auf meine Uhr.
Ich hätte die Atmosphäre der Belle Epoque mit den gigantischen Kronleuchtern, den Spiegelwänden und der Klaviermusik gern noch etwas länger auf mich wirken lassen, aber langsam wurde ich wirklich ein bisschen nervös.
»Ich sagte doch, du brauchst dir deshalb keine Sorgen zu machen«, meinte Ian und nippte seelenruhig an seinem Kaffee.
Ich kräuselte die Lippen.
»Das habe ich genau gesehen«, ließ er mich wissen und entblößte beim Lachen seine strahlend weißen Zähne.
Kapitel 9
Ich sollte erst zwei Stunden später im Hotel erfahren, warum ich mir um mein Outfit für diesen Abend keine Gedanken zu machen brauchte. Als wir in unsere Suite zurückkamen, lag auf dem Bettbänkchen im Schlafzimmer ein großes und vor allem langes weißes Paket mit dem puristischen Dior-Schriftzug.
»Ich hoffe, es trifft deinen Geschmack«, sagte Ian lapidar, während ich ehrfurchtsvoll die Schachtel von der wuchtigen Satinschleife befreite und mit bebenden Händen den Deckel abhob.
Beim Anblick des Inhalts stockte mir der Atem.
Vor mir lag ein Märchentraum von einem Kleid. Es war eine silbrig-altgoldfarbene schulterfreie Seidenrobe, deren üppige Perlen-, Strass- und Bänderstickereien von der kunstvoll gearbeiteten Korsage auf den schwingenden Tüllrock zu rieseln schienen wie ein Meer von funkelnden Sternen.
»Es ist atemberaubend«, flüsterte ich überwältigt.
»Es ist quasi ein Museumsstück. Es stammt aus der Herbst-Wintersaison 1954. Ich dachte, das würde besser zu dir passen als eines aus der aktuellen Kollektion.«
Ich strich vorsichtig über die kostbare Stickerei.
»Das ist doch viel zu wertvoll, um es anzuziehen. Und dann auch
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