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In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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ich bei Kerzenschein meine Niederschriften ordnen, doch mir flimmerte alles vor den Augen. Ich spürte die ganze Nutzlosigkeit meines Tuns und warf mich auf die Pritsche.
    Es klopfte an die Tür, ich schaute auf: mein lieber Samson, den ich fast vergessen hatte, stand auf meiner Schwelle, bänglicher als eine Jungfrau.
    »Mein Herr Bruder, darf ich eintreten?« fragte er.
    »Das dürft Ihr, Samson«, sprach ich und stützte mich auf den Ellenbogen, weil ich nicht die Kraft hatte, aufzustehen und ihn in die Arme zu schließen.
    Er musterte mich bang, schloß die Tür hinter sich und setzte sich zu mir auf meine Bettstatt.
    »Mein Bruder, leidet Ihr an einem bösen Fieber? Ihr seid so matt und bleich, seht ganz verstört aus und seid nur noch stumm.«
    »Ach, Samson, es ist weiter nichts. Das vergeht.«
    Vielleicht vergeht es auf des Henkers Klotz, war mein Gedanke, und da brach ich in Schluchzen aus. Samson lehnte sich gegen mich, nahm mich in die Arme, drückte mich unendlich zart, küßte mich hundertmal. Alles wolle er tun, um mir zu helfen, wenn ich ihm dazu nur Gelegenheit böte, beteuerte er und mengte seine Tränen in die meinen.
    »O mein geliebter Bruder«, sagte ich, als ich endlich sprechen konnte, »wie sehr weiß ich Euch Dank für Eure große Zuneigung, die mir wieder Kräfte verleiht in meiner Niedergeschlagenheit. Doch was mich jetzt quält und verbittert, kann ich Euch erst eröffnen, wenn ich den Ausgang dieser Dinge weiß. Mag es ein gutes oder verhängnisvolles Ende sein – ich bitte Euch, liebtmich darum nicht weniger, wenn Ihr erfahrt, welch schlimme Sünde ich beging.«
    »Ach, mein Herr Bruder, seid Ihr Papist geworden?« fragte Samson, der sich in seiner engelhaften Unschuld schlimmere Sünde nicht vorstellen konnte.
    »Nein, nein«, rief ich, mitten im Weinen lachend. »Ich bin fest in meinem hugenottischen Glauben und werde es bleiben, so Gott will.«
    »Also werdet Ihr Rettung erfahren!« sagte Samson, und sein Gesicht leuchtete freudig auf.
    Daß Christus mir verzeih: ich sah die Dinge von einer weniger edlen Warte aus, bangte viel eher um mein Leben denn um mein Seelenheil. Ich sagte aber nichts, wollte meinen so liebevollen Bruder nicht bekümmern.
    Nach tausend neuen Küssen und tausendfacher Versicherung, daß er mit seinem Degen an meiner Seite stehe, falls Feinde mir ans Leben wollten, ging er von dannen. Und so wohl taten mir seine Liebe und engelhafte Güte, daß ich in dieser Nacht viel besser schlief.
    Ich wachte auch fröhlicher auf. Während ich mir vor dem kleinen Spiegel – das Beinkleid schon übergestreift, jedoch noch im Hemd und ohne Kragen – die Haare zurechtlegte und mir in die Augen sah, sprach ich: »Wohlan, wenn mein Haupt fallen muß, soll es fallen. Ich bin kein Feigling!« Und ich verkehrte das Ganze in eine Komödie: als stünde ich bereits auf dem Schafott, umringt von großer Masse Volks, trat ich stolz in meinem Zimmer vor, die Hände wie gefesselt auf dem Rücken, kniete vor meinem Sessel nieder, als wäre es der Hackblock, legte das Haupt darauf, bot meinen Nacken dar und befahl dem Henker: »Schlag zu, du Schuft!«
    So gut gefiel mir dieser wackere Streich, daß ich ihn wiederholte, und da nun fühlte ich mich plötzlich frei von meiner Angst: ich hatte meiner Todesahnung den giftigen Stachel gezogen, zitterte nicht mehr, weinte nicht mehr, beklagte nicht mehr mein Los.
    Es war dies ein Mittwoch, der Tag, an dem Madame de Joyeuse mir »ihre Fingerspitzen reichen« würde.
    Nach einem schmackhaften Mahl in den
Drei Königen
, das ich mit einem guten Wein begoß (da meine Zukunft so ungewiß war, mochte ich mit meinem Geld nicht übermäßig knausern),verfügte ich mich mit leichtem Schritt ins Palais Joyeuse. Nachdem ich am Morgen entschieden hatte, meinen Tod als unabwendbar hinzunehmen, fühlte ich mein Herz gleichsam gereinigt vom Plunder der Verzweiflung, die nur ein verdecktes Hoffen gewesen.
    Dieser Wandel blieb den schönen Augen der Aglaé de Mérol nicht verborgen, als sie mir ins Vorzimmer entgegenkam, um mich in die Gemächer von Madame de Joyeuse zu führen. In jenem zärtlich-schelmischen Ton, in dem sie mit mir verkehrte, stichelte sie:
    »Für einen Mann, dem der Kopf nur noch lose auf den Schultern sitzt, habt Ihr ein bemerkenswert stolzes Antlitz und einen wackeren Gang.«
    »Madame, weil ich glücklich bin, Euch zu sehen.«
    »Hebt Euch dies hohle Kompliment für andere auf, Herr Lehrer.«
    »Herr Lehrer, Madame?« fragte ich. »Wie

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