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In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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sich nicht daran, im Gegenteil.
    »Recht tut Ihr, Pierre, den Namen des Freundes nicht zu nennen, es brächte Euch Gefahr. Doch merket Euch: wenn der Freund Euch sagt, daß Cabassus unter der Folter Euren Namen genannt hat, dann kommt sofort hierher. Ob Tag oder Nacht, Ihr findet Aufnahme, ich will das Nötige veranlassen. Dies Haus soll Euch ein unverletzliches Asyl sein.«
    »Madame, habt tausend Dank für Eure Güte. Doch ich bin nicht allein. Ich habe zwei Gefährten.«
    »Aber sie sind nicht von Geburt!« wandte Madame de Joyeuse stirnrunzelnd ein. »Das ist der Haken. Wie soll ich sie hier aufnehmen?«
    Ich kannte ihr Standesbewußtsein, darum mochte ich mit ihr nicht disputieren. Doch als mein Blick ihr alles gesagt hatte, was meine Lippen nicht zu sagen vermochten, siegte ihre natürliche Güte über den Dünkel, und sie fand einen Kompromiß.
    »Liebster«, sagte sie gleichmütig, »zerbrecht Euch nicht längerden Kopf! Eure Freunde werden von meinem Haushofmeister empfangen und logieren bei ihm.«
    Ich bedeckte ihre Hände mit Küssen, dann ihre runden, samtigen Arme, die ich in hohen Tönen pries. Da hatte ich nun freilich etwas angefangen!
    »Gewiß, ich habe schöne Arme, Pierre, aber die Nase, findet Ihr die Nase nicht ein bißchen dick?« fragte sie.
    »Ganz und gar nicht, Madame! Rassig ist sie! Man darf sie nicht losgelöst sehen von dem hübschen Gesicht, darin sie sich befindet, umrahmt von Euren blonden Locken und erhellt von Euren goldfarbenen Augen.«
    »Ja, das Ensemble scheint mir so schlecht nicht. Aber der Hals, Pierre, der Hals! Was sagt Ihr zum Hals? Es gibt böse Menschen, die …«
    »Madame, kein Wort über diese Vipern! Wenn ich ihnen begegnete, würde ich sie zertreten. Euer Hals, Madame, ist göttlich sanft und weich, und wenn ich sehe, wie er sich anmutig über Eure Schulter neigt, möchte ich ihn immerzu nur küssen.«
    »Aber Liebster, wer hindert Euch? Ich wünsche mir nichts sehnlicher als das«, sagte sie lachend.
    Und da der Appetit mich wieder ankam und ich mir nicht das Hirn zermartern wollte, um neue Komplimente zu erfinden, drückte ich ihr leidenschaftsvoll viele kleine Küsse auf den Hals, auf die Brüste, auf ihren hübschen runden Bauch … ich darf hier abkürzen, weil jeder Leser weiß: der Kuß ist wie ein kleines Tierchen, das überall herumkrabbelt. Und
hic et nunc
empfing die Schule des Stöhnens ihre beiden Schüler.
    Als ich das Palais Joyeuse verließ, packte mich jemand am Arm. Es war Cossolat.
    »Teufel nochmal, Siorac!« flüsterte er mir ins Ohr, »ich sehe Euch stolzieren wie einen Hengst auf der Wiese, der aus den Nüstern Feuer sprüht. Ich wette, Ihr seid an dem einen Ende entknotet (er lachte). Doch am anderen Ende muß es genauso geschehen. Euer Kopf hängt an einem seidenen Faden. Die Priester haben für morgen die Degradation von Cabassus angeordnet. Das Podest wird vor der Apotheke aufgebaut, beinahe unter Euren Fenstern. Ich werde zugegen sein. Danach habe ich den vormaligen Abbé in den Stadtkerker zu bringen, wo ihn der Henker auf Befehl des Provinzialgerichts um drei Uhr nachmittags der Folter unterziehen wird.« Noch leiser fügte er hinzu:»Sagt Fogacer, er solle morgen abend seinen Freund aufsuchen und Euch schleunigst mitteilen, ob Cabassus Euren Namen genannt hat. Jede Minute ist kostbar.«
    Seltsam: die Gefahr war jetzt zu nahe, als daß ich sie, gewappnet mit meinem neuen Mut, so eindringlich gespürt hätte wie vorher. Ich nahm die schlimme Nachricht mit gleichmütiger Miene auf. Beim Abendessen im Hause von Meister Sanche redete ich mehr als sonst, schwätzte nicht ohne Eifer mit Fogacer und Meister Sanche über die Ansteckungsmöglichkeiten im Falle der italienischen Seuche. Der Bakkalaureus hielt es mit Girolamo Fracastoro, dem Arzt aus Verona, nach dessen Meinung die Übertragung durch winzige, mit bloßem Auge nicht wahrnehmbare Insekten erfolge. Hierauf Meister Sanche: Fracastoro habe sie nicht sehen können, weil sie gar nicht da seien. Mir wollte scheinen, aus Meister Sanche sprach der gesunde Menschenverstand, doch sicherlich nicht die feinere Logik, denn bei keiner ansteckenden Krankheit war der Überträger dem menschlichen Auge sichtbar, obschon bekanntermaßen zugegen.
    Am Morgen darauf weckten mich in aller Frühe die Hammerschläge der Zimmerleute, die auf der Place des Cévenols das Podest errichteten. An diesem Donnerstag hielten Dekan Bazin und Kanzler Saporta keine Vorlesungen; ich blieb auf meinem Zimmer, um meine

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