In Wahrheit wird viel mehr gelogen - Erben bringen Glück
Wintermäntel, Bruchbuden und so weiter – immer gut gelebt. Unsere Wohnungen waren zwar nie riesig oder luxuriös gewesen, aber immer in allerbester Stadtlage und schon deshalb nicht billig. Dazu kam, dass Karl sich vor allem mit Zürich und London Städte ausgesucht hatten, in denen das Leben an sich schon teurer war als anderswo. Und allein die Umzüge kosteten immer ein Vermögen. (Ziehen Sie mal mit einem Cembalo um!) In Madrid hatten wir sogar eine Zugehfrau gehabt, Señora Seda, die nicht schlecht bei uns verdiente, da wir das Putzen beide hassten und immer erst das Geschirr spülten, wenn kein sauberes mehr da war. (Als imaginäre Putzfrau hatte uns Señora Seda auch weiterhin begleitet. »Jemand müsste mal wieder das Bad putzen«, sagte ich zum Beispiel, und Karl antwortete dann: »Ich dachte, das hätte Señora Seda schon erledigt – sie muss übrigens auch noch die Wäsche aufhängen.«)
Überall hatte Karl zwar einen Lehrauftrag an der Universität gehabt, aber keine dieser Stellen war besonders gut bezahlt gewesen. Deshalb hatte er zusätzlich als Berater und Gutachter für Museen, Versicherungen und Auktionshäuser gearbeitet, und das Geld, das er dort verdiente, brauchten wir auch, denn Karl liebte gutes Essen (ich auch) und guten Wein (ich nicht), kaufte gern in Delikatessengeschäften ein, und mindestens zweimal in der Woche aßen wir auswärts. Außerdem gingen wir viel ins Theater und ins Kino, und wir gaben alle beide einen Haufen Geld für Bücher aus. Für Klamotten und teure Kosmetik wäre nichts mehr übrig geblieben, also war es ganz gut, dass ich mich dafür nicht wirklich begeistern konnte. Oder sagen wir so: Es war mir einfach nicht wichtig.Und was den Wintermantel anging, auf den Mimi immer anspielte: Ich hatte seit vielen Jahren einen schwarz-weiß gemusterten Tweedmantel, den ich einfach liebte, auch jetzt noch, wo er reichlich abgetragen war. Sicher hatte es nicht an Karls Geiz gelegen, dass ich mir keinen neuen kaufte. Ich brauchte einfach keinen. Und ich hielt prinzipiell nichts davon, Dinge auszusortieren, nur weil sie ein wenig alt geworden waren.
Meine Eltern zahlten mir monatlich ein paar hundert Euro, sie nannten das offiziell »Studiengeld«, aber inoffiziell war es wohl, dass sie nicht wollten, dass Karl mich ganz allein »unterhielt« beziehungsweise »aushielt«. Und Karl hatte nichts dagegen, auch etwas, das Mimi ihm posthum vorwarf. Ich selber verdiente ein bisschen was mit Übersetzungen dazu, aber unregelmäßig und auch nicht besonders viel.
Meine Familie war empört, als nach Karls Tod die ersten Anwaltsbriefe eintrafen, und sie waren vor allem deshalb empört, weil Karl mich über seine tatsächlichen Vermögensverhältnisse im Dunkeln gelassen hatte. Natürlich waren sie auch empört darüber, dass Karls Familie nichts Besseres zu tun hatte, als sich sofort wie die Geier auf das Vermögen zu stürzen. Und zu guter Letzt waren sie darüber empört, dass ich nicht empört war, aber dann las Ronnie in einem Buch über die vier Phasen der Trauer, dass ich mich noch in der Schockphase befand und Empörung vorübergehend nicht zu meinem emotionalen Repertoire gehörte.
Aber das stimmte nicht ganz. Denn als sie in Karls Unterlagen eine Art Testament fanden, ein Blatt, auf das Karl mit Füller »Im Falle meines Todes soll mein ganzer Besitz meiner Frau Carolin gehören« geschrieben hatte, inklusive Ort, Datum und Unterschrift, empfand ich sehr wohl heftige Empörung. Ich war empört darüber, dass Karl offensichtlich in Erwägunggezogen hatte, vor mir zu sterben. Dass er überhaupt daran gedacht hatte zu sterben und mich alleinzulassen.
Meine Familie aber war aufgrund des Testamentes wieder einigermaßen mit Karl versöhnt. Mein Vater freute sich sogar so sehr über dieses Blatt, dass er es küsste.
Ohne es zu wissen, hatte ich einen reichen Mann geheiratet. Während unserer Ehe war er noch viel reicher geworden, denn seine Tante Jutta und seine Eltern waren kurz hintereinander gestorben und hatten ihm nicht nur, wie ich geglaubt hatte, die Hälfte einer Villa in Köln-Rodenkirchen vererbt, sondern auch ein Mietshaus in Düsseldorf, ein nicht unbeträchtliches Bar- und Aktienvermögen sowie wertvolle Kunstgegenstände, darunter ein »Fischstilleben in einer Uferlandschaft«, auf das Onkel Ohrfeigengesicht Thomas besonders scharf war, denn er erwähnte es in jedem seiner Schreiben mehrfach.
Mimi versuchte ständig, mich für das Erbe zu interessieren, obwohl Ronnie
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