In Wahrheit wird viel mehr gelogen - Erben bringen Glück
eingeladen,
am Donnerstag, den 3. Dezember um 16 Uhr in
den Abschiedsräumen des Trauerhauses Hellmann bei einer
kleinen Feier seiner zu gedenken. Anstelle von Blumen,
Kränzen und Gestecken bitten wir um eine Spende
an die Schütz-Foundation zur Förderung von Filmkunst in
Deutschland, Kontonummer 11820056 bei der Sparkasse
Düsseldorf. Alle, die aus Versehen keine persönliche
Einladung bekommen haben, möchten wir bitten, diese
Anzeige als eine solche zu betrachten.
Nachdem ich ungefähr eine Minute darauf gestarrt hatte, nahm Mimi die Zeitung wieder herunter und sagte matt: »Wenigstens haben sie kein Kreuz und keine betenden Hände drauf gemacht. Oder so eine geknickte Rose. Das hätte Karl gehasst.«
»Ja, aber was soll das heißen, Gottes Wege sind unergründlich? Karl war Atheist!«
»Ja, aber seine Familie offenbar nicht«, sagte Mimi. »Am Donnerstag ist Karls Tod nämlich genau sechs Wochen her. Die feiern quasi ein Sechswochenamt.«
»Gottes Wege sind unergründlich?«
»Das heißt auf katholisch: Weil er seine Familie verlassen und sich eine Neue, viel Jüngere angelacht hat, wird er nun mit einem frühen Tod bestraft und kommt für eine ziemlich lange Zeit ins Fegefeuer, Amen.«
»Ein Leben für die Kunst und die Familie .« Mein Mund war ganz trocken. Außerdem ging mein Puls viel zu schnell. »Das ist ja schon fast komisch.«
»Immerhin. Sie hätten es ja auch andersherum schreiben können: Erst die Familie, dann die Kunst«, sagte Mimi. »Und – nein! Das ist kein bisschen komisch!« Sie schlug mit der Faust so fest auf die Zeitung, dass das Geschirr klirrte. »Ehrlich, ich fasse es nicht. Das ist das Unverschämteste, das ich jemals gehört habe. Die veranstalten tatsächlich eine … eine Gegen-Beerdigung.«
»Darf man das überhaupt?«
»Wer soll es ihnen verbieten? Unser Anwalt? Der Papst?«
»Aber sie … sie können ja nicht …!«, rief ich. » Ich habe Karl!« Etwas leiser setzte ich hinzu: »Seine Asche zumindest.«
»Ich traue denen zu, dass sie einen leeren Sarg aufstellen.« Mimi schaute wieder auf die Anzeige. »Monika ist die Exgattin, nehme ich mal an. Geliebter Vater, Bruder und Ehemann – hallo? Dreister geht es doch wohl nicht.«
»Man kann ja schlecht geliebter Ex-Ehemann in so eine Todesanzeige schreiben.« Ich nahm meinen Stuhl und rückte ihn neben Mimi. Monika Lange-Schütz. Der Doppelname von Leos Mutter war mir neu, überraschte mich aber nicht. Passte doch super zu Oer-Erkenschwick.
»Und was ist das für eine Schütz-Foundation?«, fragte Mimi. »Die dürfen doch nicht einfach in Karls Namen eine Stiftung eröffnen. Ich rufe gleich mal unseren Anwalt an.«
»Wahrscheinlich ist das eine Idee von Onkel Thomas. Karl hatte mit Filmkunst nichts am Hut, schon gar nichts mit deutscher Filmkunst. Onkel Ohrfeigengesicht Thomas hingegen hat schon Millionen in windigen Filmproduktionen versenkt. Muss man sich mal vorstellen. Der will sich nicht nur Karls Besitz unter den Nagel reißen, sondern auch noch das Geld, das die Leute sonst für Kränze ausgegeben hätten.«
»Ratte«, knurrte Mimi.
»Verbrecher«, sagte ich. »Alles Verbrecher und verlogene Heuchler.«
»Man möchte sie wirklich … in den Hintern treten! Am liebsten würde ich auf dieser Feier auftauchen und ihnen meine Meinung sagen.«
»Meinen Segen hast du. Vielleicht nimmst du zur Untermalung ein paar Farbbeutel mit. Und Stinkbomben.«
»Im Ernst. Das können wir denen doch nicht einfach durchgehen lassen! Karl hatte bereits seine Trauerfeier! Vor fünf Wochen. Wir hatten einen wunderbaren Redner, eine bewegende Ansprache, duftende weiße Rosen, riesige Kerzen – und wir haben Teelichter und Blütenblätter in einer Schale mit Wasser schwimmen lassen!«
Tatsächlich? Ich hatte nichts von alledem mitbekommen. Ich hatte nur vor mich hingestarrt und alles Mögliche gezählt. Sechsundvierzig Hände, die ich schütteln musste.Achtundsechzig schwarze Hosenbeine. Vierzehn Männer mit Vollbart. Siebenundachtzig Mal das Wort »schlimm«.
»Es war eine stimmungsvolle, kreative, dezente First-Class-Trauerfeier. Und keiner von denen hat es für nötig befunden zu kommen«, sagte Mimi. »Nicht mal entschuldigt haben sie sich.«
»Nee. Klar haben sie das nicht. Sie haben ja die Gegenveranstaltung geplant. Wahrscheinlich kommt auch ein Pfarrer und sagt was über Gottes unerforschliche Wege … Und über das Fegefeuer, in das man kommt, wenn man seine Frau und die Kinder verlässt. In der katholischen Kirche
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