In Zeiten der Flut
heiter wie das Spiegelbild des Mondes auf einem nächtlichen Gewässer.
Im Hinterkopf spürte der Bürokrat das Summen aller zwanzig Sibyllen, die sich ins System eingeklinkt hatten. Trinculos Gegenwart war jedoch absolut dominierend; er strahlte eine überwältigende charismatische Aura aus, die beinahe greifbar schien. Obwohl der Bürokrat wußte, daß die primitive Technik dafür verantwortlich war, weshalb seine Aufmerksamkeit künstlich so ausschließlich auf Trinculo fokussiert wurde, daß sein Unbewußtes es als Ehrfurcht registrierte, empfand er dennoch Demut vor diesem leuchtenden Wesen. »Was haben Sie zu diesem Thema?«
Er stellte sich das Muschelmesser vor. Eine Sibylle nahm das Bild auf und projizierte es über dem Schreibtisch in den Raum. Eine andere öffnete ein Fenster zu einem Museumskatalog. Sie tastete die hellerleuchteten Galerien ab, die aussahen wie aus Eis geschnitzt, und hob das Gegenstück des Messers aus einer Glasvitrine. Der Bürokrat fragte sich, wie wohl das echte Museum aussehen mochte; er hatte schon Sammlungen mit makellosen Katalogen und leeren, geplünderten Magazinen gesehen.
»Es handelt sich um einen Gebrauchsgegenstand der Drule«, sagte eine der Sibyllen.
»Um ein Muschelmesser, mit dem man die Muskeln von Dungmuscheln durchtrennt«, fügte eine andere hinzu. Sie öffnete neben dem Messer ein Fenster, in dem ein fischköpfiger Drul am Fluß hockte und den Gebrauch des Messers demonstrierte, dann schloß sie es wieder.
»Mittlerweile weitgehend nutzlos. Für Menschen sind Dungmuscheln ungenießbar.«
»Dieses spezielle Messer ist etwa dreihundertfünfzig Jahre alt. Es wurde von einem Clan der Schalentier-Allianz benutzt. Es handelt sich um ein besonders exquisites Exemplar seiner Art und wurde, anders als die meisten, nicht von den ursprünglichen Siedlern auf Miranda aufgelesen, sondern stammt aus einer Grabung in Cobbs Creek.«
»Die Grabung am Cobbs Creek ist dokumentiert.«
»Gegenwärtig findet im Museum für Prähumane Anthropologie in Dryhaven eine Ausstellung zu dem Thema statt.«
»Reicht das, oder wollen Sie noch mehr wissen?«
Trinculo lächelte milde. Der Verwalter hatte seit seiner Vorstellung kein einziges Wort gesprochen. »Ich habe das Messer vor kaum einer halben Stunde im Tideland gesehen«, sagte der Bürokrat.
»Ausgeschlossen!«
»Es muß sich um eine Reproduktion handeln!«
»Die Sicherheitssysteme des Museums sind außerplanetarischen Ursprungs.«
»Trinculo«, sagte der Bürokrat. »Ich möchte Sie etwas fragen.«
In freundlichem, verbindlichem Ton antwortete die goldene Maske: »Es ist meine Aufgabe, Ihnen zu helfen.«
»Sie haben den Text von Gregorians Werbespots gespeichert.«
»Selbstverständlich haben wir das!« fauchte eine Sibylle.
»Warum wurde er dann nicht verhaftet?«
»Verhaftet!«
»Dazu besteht kein Grund.«
»Warum sollten wir das tun?«
»Gregorian behauptet, er könne andere Menschen in Meeresbewohner verwandeln. Das ist eine Irreführung. Er nimmt Geld dafür. Das ist Betrug. Und es sieht ganz danach aus, als würde er seine Opfer in Tateinheit mit diesem Betrug ertränken. Das ist Mord.«
Es entstand ein kurzes Schweigen. Dann sagte die Sibylle, die sich mit seinem Surrogat im Raum aufhielt und die immer noch mit gesenktem Kopf nach Informationen suchte: »Zunächst muß festgestellt werden, ob er seine Behauptungen tatsächlich nicht einlösen kann.«
»Machen Sie sich doch nicht lächerlich. Menschen können nicht im Meer leben.«
»Vielleicht könnte man sie tatsächlich an diese Umgebung adaptieren.«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Zunächst einmal besteht das Problem der Hypothermie. Wenn Sie jemals geschwommen sind, dann wissen Sie, wie rasch man dabei abkühlt. Einen solchen Wärmeverlust hält der Körper nur für relativ kurze Zeit aus. Nach wenigen Stunden sind die Reserven verbraucht, und die Körpertemperatur sinkt. Man bekommt einen Schock. Und man stirbt.«
»Drule fühlen sich im Wasser anscheinend recht wohl.«
»Menschen sind keine Drule. Wir sind Säugetiere. Wir müssen eine hohe Bluttemperatur aufrechterhalten.«
»Es gibt auch Säugetiere, die im Wasser leben. Otter und Seehunde zum Beispiel.«
»Weil sie sich im Lauf der Evolution angepaßt haben. Sie schützen sich durch eine Fettschicht. Uns fehlt eine solche Isolierung.«
»Vielleicht gehört die Entwicklung einer isolierenden Fettschicht zu den Veränderungen, die Gregorian vornimmt.«
»Ich will einfach nicht glauben, daß
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