Infernal: Thriller (German Edition)
schlanker, hungriger Fünfzigjähriger mit den Augen eines kampferfahrenen Soldaten. Diesen Eindruck hatte ich jedenfalls, als ich ihn das erste Mal sah. Ein Bursche aus den Mannschaftsdienstgraden, der auf dem Schlachtfeld zum Offizier befördert wurde – und niemand würde diese Beförderung jemals in Frage stellen. Baxters Erfolgsbilanz ist legendär in einem Krieg, in dem es nur wenige Siege und viele beinahe unerträgliche Niederlagen gibt. Beispielsweise meine Schwester und die zehn anderen verschwundenen Frauen. Baxters Truppe hat bei diesem Fall eine große Niete gezogen. Doch die bittere Tatsache bleibt – wenn eine bestimmte Sorte von Mist am Dampfen ist, dann gibt es niemanden außer Baxter, den man rufen könnte.
»Baxter?«, meldete sich eine durchdringende Baritonstimme.
»Hier ist Jordan Glass«, sage ich und bemühe mich nicht sonderlich erfolgreich, gegen meine schwere Zunge anzukämpfen. »Erinnern Sie sich an mich?«
»Sie sind schwer zu vergessen, Miss Glass.«
Ich nehme einen hastigen Schluck Scotch. »Vor etwas mehr als einer Stunde habe ich meine Schwester in Hongkong gesehen.«
Kurzes Schweigen am anderen Ende. »Haben Sie getrunken, Miss Glass?«
»Absolut. Aber ich weiß, was ich gesehen habe.«
»Sie haben Ihre Schwester gesehen.«
»In Hongkong. Und nun sitze ich in einer 747 auf dem Weg nach New York.«
»Soll das heißen, Sie haben Ihre Schwester lebendig gesehen?«
»Nein.«
»Ich weiß nicht, ob ich Sie recht verstehe.«
Soweit ich dazu imstande bin, liefere ich Baxter eine präzise Zusammenfassung meiner Erlebnisse im Museum, dann warte ich auf seine Reaktion. Ich erwarte einen Ausdruck des Erstaunens. Vielleicht nicht gerade ein »Shazam« im Stil eines Gomer Pyle, aber wenigstens irgendetwas. Ich hätte es besser wissen müssen.
»Haben Sie eines der anderen Opfer aus New Orleans erkannt?«, fragt er.
»Nein. Aber ich habe die Bilder nach Nummer sechs nie gesehen.«
»Und Sie sind hundertprozentig sicher, dass das Gesicht auf diesem Gemälde das Gesicht Ihrer Schwester war?«
»Machen Sie Witze? Das ist mein Gesicht, Baxter. Mein Körper, nackt vor aller Augen.«
»Also schön ... ich glaube Ihnen.«
»Haben Sie je von diesen Gemälden gehört?«
»Nein. Sobald unser Gespräch zu Ende ist, rede ich sofort mit unseren Kunstleuten. Und wir werden diesen Christopher Wingate unter die Lupe nehmen. Wann werden Sie in New York sein?«
»In neunzehn Stunden. Fünf Uhr nachmittags, New Yorker Zeit.«
»Versuchen Sie, im Flieger ein wenig zu schlafen. Ich werde Ihnen einen Anschlussflug vom JFK hierher buchen. Es wird ein E-Ticket sein, zeigen Sie einfach Ihren Pass oder Ihren Führerschein. Ich fahre nach Washington und treffe Sie im Hoover Building. Ich muss morgen sowieso dorthin, und für Sie ist es einfacher, als nach Quantico zu kommen. Ich schicke einen Agenten zum Reagan Airport, der Sie abholt. Haben Sie ein Problem damit?«
»Ja. Ich denke, Sie hätten es bei Washington National belassen sollen.«
»Miss Glass, ist alles in Ordnung mit Ihnen?«
»Danke, bestens.«
»Sie klingen, als stünden Sie unter Schock.«
»Nichts, was eine medikamentöse Therapie nicht heilen könnte. Zusammen mit ein paar Schlucken von Schottlands Bestem.« Ein hysterisches Lachen kommt über meine Lippen. »Ich muss mich ein wenig beruhigen. Es war ein schwerer Tag für mich.«
»Ich verstehe. Aber beruhigen Sie sich nicht zu stark, hören Sie? Ich brauche Ihren scharfen Verstand.«
»Es ist immer wieder schön, gebraucht zu werden.« Ich unterbreche die Verbindung und lege das Airfone in die Armlehne zurück.
Vor dreizehn Monaten hast du mich nicht gebraucht , sage ich in Gedanken. Aber das war vor dreizehn Monaten. Inzwischen sehen die Dinge anders aus. Jetzt werden sie mich brauchen, bis sie die Bedeutung der Gemälde richtig eingeschätzt haben. Und dann werde ich erneut außen vor sein. Ausgeschlossen zu sein ist das Schlimmste, was einem Journalisten passieren kann – und für die Familie eines Opfers ist es die reinste Hölle. Besser, wenn ich jetzt nicht darüber nachdenke. Besser, wenn ich ein wenig schlafe. Ich lebe praktisch seit zwanzig Jahren in der Luft, und das Schlafen in Flugzeugen fiel mir nie schwer, bis Jane verschwunden ist. Seither brauche ich die Hilfe meiner kleinen Freunde.
Während sich der chemische Nebel über meine Augen legt, geht mir ein letzter kohärenter Gedanke durch den Kopf, und ich nehme das Airfone erneut aus der Lehne. Ich bin nicht
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