Infernal: Thriller (German Edition)
unverhüllt, und es sieht aus, als wäre es im sechzehnten Jahrhundert gemalt.
»Señora?« , fragt Juan. »Wenn Sie mir bitte folgen würden?«
Ein paar Schritte und ein Knick nach links bringen uns in den Salon, wo die anderen sitzen und Kaffee trinken. Auch dieser Raum ist beeindruckend, mit orientalischen Wandschirmen und einem Aubusson von der Größe eines Plantschbeckens. Frank Smith blickt auf, als ich durch die Tür komme, und obwohl ich mir vorgenommen habe, meine Augen auf meiner Kamera zu lassen, starre ich ihm unwillkürlich voll ins Gesicht. Der junge Maler hat seegrüne Augen, einen Aquamarinton, den ich bisher nur bei Frauen gesehen habe. Die Augen liegen in einem tief gebräunten Gesicht über einer römischen Nase und einem sinnlichen Mund. Sowohl sein Gesicht als auch sein Körper besitzen eine bemerkenswerte Symmetrie; er sieht schlank und muskulös aus unter seiner weißen Leinenkleidung. Plötzlich fällt mir wieder der Zweck meiner Anwesenheit ein. Ich blinzele und wende mich zu Kaiser.
»Bitte entschuldigen Sie meine Verspätung. Was soll ich fotografieren?«
»Alles in diesem Haus, das von Mr Smith ist.«
Frank Smith starrt mich immer noch an, und ich bin mir eigenartig sicher, dass er mich schon einmal gesehen hat. Mich oder meine Schwester. Dieser Gedanke schnürt mir die Kehle zu, und mir bricht der Schweiß aus.
»Der Akt im Speisezimmer ist von mir«, sagt Smith.
Ich nicke, und mühsam sage ich: »Es dauert nicht lange.«
»Verzeihen Sie«, sagt er, »aber kennen wir uns nicht?«
Ich räuspere mich und sehe zu Kaiser, halb in der Hoffnung, dass er seine Waffe zieht. »Ich denke nicht.«
»In San Francisco vielleicht? Waren Sie schon einmal dort?«
Ich lebe in San Francisco, wenn ich nicht arbeite ... »Ja, aber bestimmt seit ...«
»Mein Gott, Sie sind Jordan Glass!«
Kaiser, Lenz und ich starren einander an wie Dummköpfe.
»Sie sind es«, sagt Smith. »Ich hätte Sie vielleicht nicht erkannt, aber mit der Kamera ... irgendetwas hat einfach Klick gemacht. Mein Gott, was machen Sie hier? Sagen Sie mir nicht, dass Sie jetzt beim FBI sind!«
»Nein.«
»Nun, was um alles in der Welt machen Sie dann hier?«
Die Wahrheit hat ihre eigene Stimme. »Meine Schwester war eines der Opfer.«
Smiths Mund klappt auf. »Oh. O nein. Ich verstehe.« Er steht auf und sieht aus, als wollte er mich umarmen, als wäre die Tragödie eben erst geschehen.
»Offen gestanden stimmt das nicht ganz. Ich verstehe ehrlich gesagt gar nichts.«
Kaiser funkelt mich an, als hätte ich einen Fehler gemacht, indem ich mich zu erkennen gegeben habe, doch nachdem Smith mich zweifelsfrei identifiziert hat, ergibt es keinen Sinn mehr, das Spiel fortzusetzen.
»Wir waren eineiige Zwillinge«, erkläre ich.
Der Künstler kneift die Augen zusammen, während er versucht zu begreifen; er braucht nicht lange dazu.
»Sie sind ein Köder! Das FBI benutzt Sie, um den Killer in Panik zu versetzen, damit er sich selbst verrät!«
Ich sage nichts.
Smith schüttelt staunend den Kopf. »Nun, ich freue mich jedenfalls, Sie kennen zu lernen, trotz der Umstände. Ich liebe Ihre Arbeiten. Seit Jahren schon.«
»Danke sehr.«
»Wieso haben Sie Jordan erkannt?«, fragt Lenz.
Smith antwortet in meine Richtung. »Irgendjemand hat Sie mir in San Francisco auf einer Party gezeigt. Ich stand zwanzig Minuten lang einen Meter neben Ihnen, während Sie sich mit jemand anderem unterhalten haben. Ich wollte Sie kennen lernen, aber ich wollte mich nicht aufdrängen.«
Als ich wieder zu Smith sehe, kommt mir der Akt in seinem Esszimmer in den Sinn. »Ist der Mann auf dem Bild in Ihrem Esszimmer Oscar Wilde?«
Seine Augen leuchten vor Vergnügen. »Ja. Ich habe das Foto auf dem Umschlag der Ellman-Biografie für sein Gesicht benutzt sowie zahlreiche andere Fotografien, um eine Vorstellung von seinem Körper zu bekommen. Wilde ist ebenfalls eines meiner Idole.«
»Ich mag dieses Cottage«, sage ich zu ihm und lege ihm die Hand auf den Arm, um seine Reaktion besser abschätzen zu können. Er genießt es ohne jeden Zweifel. »Haben Sie einen Garten?«
Smith strahlt. »Selbstverständlich. Folgen Sie mir.«
Ohne Kaiser oder Lenz auch nur eines einzigen Blickes zu würdigen, begleitet er mich zur Vordertür, die zu einem ummauerten Garten führt, der voll ist mit Zitruspflanzen, Rosen und einer knorrigen Wisteria, die wahrscheinlich so alt ist wie das Haus selbst. Eine Gartenseite wird von einem alten Dienstbotengebäude
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