Inkarnationen 04 - Das Schwert in meiner Hand - V3
bleichem, weißem Fell und
leuchtenden roten Augen. Gemetzel ritt ein Tier von so intensivem Rot, daß es schon an blutige
Eingeweide erinnerte. Hungersnot hatte ein pechschwarzes Tier bestiegen, dessen Leib an
bestimmten Stellen glänzte, so daß man glauben konnte, er ritte auf einem Skelett. Pestilenz
schließlich besaß ein Pferd, dessen Farbe am ehesten noch mit schmutzig gelbbraun umschrieben
werden konnte. Darin waren jedoch so viele weißliche und graue Flecken, daß man das Tier für
totsterbenskrank halten mußte; dabei war es kerngesund. Mym versuchte sich zu erinnern, daß er
bei seinen Studien der abendländischen Mythologie einmal auf eine ähnliche Reitergruppe gestoßen
war.
Die fünf ritten über die Wolken. Die Hengste sprangen über Wolkentäler, flogen durch die Luft und
näherten sich dem Erdenrund. Die Mäntel der Reiter flatterten im Wind. Bald schon gelangten sie
nach Indien, wo sie im Osten des Landes haltmachten. Mym sah sich um und erkannte, wo er sich
befand: An der Grenze zwischen Gudscherat und Maharaschtra. Hier sollte die Schlacht zwischen den
beiden Königreichen geschlagen werden.
Er hatte sich mit Gäa besprochen, diesem Krieg ein Ende zu bereiten. Sein Doppelgänger sollte die
Prinzessin von Radschastan heiraten, und Entzückens Doppelgängerin sollte den Prinz von
Radschastan zum Mann nehmen, um so einen Bund zwischen den drei Königreichen herzustellen.
Warum aber zog man dann in den Krieg?
Als er darüber nachdachte, wußte er bald die Antwort. Es war erst ein Tag nach seinem heimlichen
Verschwinden vergangen.
Wahrscheinlich war die Nachricht noch nicht bis hierher gelangt. Mit modernen Nachrichtensystemen
hätte man eine solche Panne wohl vermeiden können. Doch in diesem Land mit seiner Bürokratie ging
alles einen behäbigeren Gang. Die gute Nachricht lag wahrscheinlich auf dem Schreibtisch
irgendeines Schreiberlings und wartete dort darauf, weitergeleitet zu werden. Und in der
Zwischenzeit würde es zu dieser sinnlosen Schlacht kommen.
Mym mußte dem Treiben ein Ende setzen. Er fürchtete sich nicht so sehr vor dem Blutvergießen,
doch dieser Konflikt hier war absolut sinnlos. Keines der beiden Königreiche konnte es sich
leisten, seine Kräfte so unnötig zu vergeuden.
Schon zogen die einzelnen Regimenter auf das Schlachtfeld. Kavallerie, Bogenschützen,
Kriegselefanten und Infanterie nahmen wie die Figuren auf einem Schachbrett Aufstellung. Die
beiden Heere waren etwa gleich stark, und so würde der militärische Verstand der Feldherren über
den Sieg entscheiden; wenn man einmal davon absah, daß aus dieser Auseinandersetzung kein
wirklicher Sieger hervorgehen konnte.
Wie sollte er dieser Narretei Einhalt gebieten?
Er rief Hungersnot zu sich. »Diese Schlacht darf nicht stattfinden. Wie kann ich sie
aufhalten?«
»Aufhalten?« fragte Hungersnot, und seine Miene zeigte Enttäuschung. »Wir sollten keine
Auseinandersetzungen aufhalten, sondern Verheerung anrichten!«
»Dennoch muß ich diese Schlacht beenden, bevor sie begonnen hat«, sang der Prinz. »Ich bin die
Inkarnation des Krieges, und so verfügte ich über die Macht, einen Konflikt auszuweiten oder zu
Ende zu bringen.«
Hungersnot seufzte tief. »Die habt Ihr, Mars. Doch es wäre ein trauriger Tag, wenn Ihr Eure Macht
dazu gebrauchen wolltet...«
»Das soll jetzt nicht Eure Sorge sein«, gab Mym wütend zurück. »Also, wie bewerkstellige ich
es?«
»Ihr verfügt über verschiedene Fähigkeiten: Ihr könnt in den Geist eines Generals oder Feldherren
eindringen und dort die Pläne und Gedanken ändern; Ihr könnt den ganzen Schlachtort einfrieren
lassen...«
»Ihn einfrieren lassen? Und was geschieht, wenn ich den Frost wieder aufhebe?«
»Dann geht es so weiter, wie in dem Moment, in dem es aufgehalten wurde.«
»Wie gelange ich in den Geist eines Feldherrn und woher weiß ich, wer für mich geeignet
ist?«
Hungersnot zuckte die abgemagerten Achseln.
»Das fällt wirklich nicht in mein Ressort. Ich trete erst auf den Plan, wenn ein Krieg das Land
verheert hat und die meisten Nahrungsvorräte vernichtet sind. Leider habe ich nie erfahren, wie
Mars bei der Auswahl der Schlüsselfiguren vorgeht.«
Wenn Hungersnot es schon nicht wußte, würden ihm die anderen Gehilfen auch kaum weiterhelfen
können. Er mußte es also selbst herausfinden.
Mym lenkte sein goldenes Roß zu den Bannern der Armee von Gudscherat. Wenn er sich dort zeigte
und erkannt würde, könnte er vielleicht das
Weitere Kostenlose Bücher