Inkarnationen 04 - Das Schwert in meiner Hand - V3
den jungen Perser
kennengelernt hatte, wollte er ihn nicht einfach dem sicheren Tod überlassen. Der Junge würde
sterben, und es würde nicht einmal ein ehrenhafter Tod sein.
Doch was konnte er tun? Dieser Krieg war schon unter seinem Vorgänger ausgebrochen und dauerte
jetzt bereits mehrere Jahre. Der Schaden, den er angerichtet hatte, war nur in Jahrzehnten
wiedergutzumachen. Und wenn er den Jungen woanders hinbrächte, um ihm das Leben zu retten? Nein,
dann würde er als Deserteur verfolgt werden, und das würde dem Jungen das Herz brechen.
Wäre es ihm möglich, die Schlacht abzubrechen, bevor sie begann? Auf jeden Fall würde es ihm kaum
mit der Hilfe des Knaben gelingen; dafür hatte er sich den falschen Geist ausgesucht.
Außerdem war es dafür auch schon zu spät: Die Einheit des Jungen marschierte in Richtung
Front.
Der Angriff würde in einigen Minuten beginnen.
Konnte er denn gar nichts tun? Er war jetzt fest entschlossen, dem Knaben nach Kräften
beizustehen.
Die Einheit sammelte sich auf einem Hügel.
Weitere Kompanien schlossen zu ihr auf. Tausende Knaben standen bereit zum Sturm auf die
gegnerischen Stellungen. Sie alle waren totgeweiht.
Das Angriffssignal ertönte; mutig schwärmten die Jungen den Hügel hinab. Die Gehilfen des Prinzen
fanden sich ein und freuten sich schon auf reiche Ernte.
Die Jungen stürmten mit verzückten Mienen gegen den Feind. Sie waren trunken vor Stolz, am
Heiligen Krieg teilnehmen zu dürfen. Sie fragten nicht nach Gründen, sie waren es gewohnt, zu
gehorchen und den Worten ihrer Offiziere bedingungslos Glauben zu schenken.
Der Feind verhielt sich abwartend und ließ die Jungen nahe genug herankommen. Dann eröffnete die
Artillerie das Feuer. Kaum eine Granate verfehlte ihr Ziel. Die babylonischen Geschütze hatten
sich auf dieses Gebiet eingeschossen, weil sie schon seit einiger Zeit mit einem Angriff
rechneten. Eine Granate fuhr unweit von Mym in den Boden. Er drehte sich um und sah, wie etwas
auf ihn zuflog und vor seinen Füßen landete. Ein menschlicher Arm, glatt von der Schulter
gerissen.
Der Prinz drang in seinen Knaben ein und stellte dort fest, daß der Elfjährige die Wahrheit
erkannte. Dies war nicht das Schlachtfeld der Ehre, sondern ein Feld des Todes. Ob er hier
überlebte oder nicht, hing keineswegs von seinem persönlichen Einsatz ab. Er mußte rennen, bis er
von einem Geschoß getroffen wurde. Niemanden würde es interessieren, ob er überlebte oder
nicht.
Und er konnte nichts tun. Alles hing von den Granaten ab.
Dem Jungen wurde es heiß und kalt. Immerhin war er erst elf Jahre alt und noch kein Mann, der
einer solchen grimmigen Realität gefaßt entgegensehen konnte. Er hatte geglaubt, daß sich alles
zum Guten wenden würde, wenn er nur sein Bestes gab. Nun erkannte er, daß nichts davon wahr war.
Und diese Erkenntnis lähmte ihn.
Die Schreie seiner Kameraden gellten in den Ohren des Jungen. Nicht alle waren nach einem Treffer
auf der Stelle tot. Viele waren verwundet, und die meisten von ihnen lagen im Sterben.
»Mein Fuß, er hängt nur noch an einem Hautfetzen!«
»Ich kann nichts mehr sehen!«
»Wo kommen diese Gedärme her? Allah stehe mir bei, es sind meine eigenen!«
»Mein Freund, seine Schulter ist fort, und auch der halbe Kopf!«
Der Ansturm kam zum Stehen. Die Jungen konnten nicht fassen, was da um sie herum vor sich ging.
Doch auch als der Feind langsam zurückwich, hielten die babylonischen Geschütze ihr Sperrfeuer
aufrecht.
Myms militärisch geschulter Verstand analysierte die Abwehrkanonaden. Die feindlichen Batterien
feuerten nach einer bestimmten Taktik. Er erkannte, daß in wenigen Sekunden eine Granate direkt
über ihm explodieren würde.
Mym übernahm die Muskeln des Knaben. Er hatte mehr geahnt als gewußt, daß er dazu fähig war. Er
sprang mit dem Jungen zur Seite, um so weit wie möglich von der Einschlagstelle zu gelangen. Die
Detonationswucht traf ihn und warf ihn um.
In diesem Augenblick entdeckte er eine weitere Inkarnation. Eine sehr große Spinne kletterte an
einem Faden hinunter, der vom Himmel ragte. Als sie am Boden angekommen war, verwandelte sie sich
in eine Frau in den mittleren Jahren.
Mym gebot seinem Schwert, eine Starre über das Schlachtfeld zu legen. Jungen, Granaten und
Rauchwolken gefroren mitten in ihrer Bewegung.
»Mars, was treibt Ihr denn hier bloß?« fuhr die Frau ihn an.
»Wer seid Ihr?« fragte er in seinem Singsang.
»Man nennt mich Lachesis.«
»Aha, Lakschmi,
Weitere Kostenlose Bücher