Innerste Sphaere
zu dumm und selbstsüchtig, um den Mund aufzumachen.«
Ana bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. Ihre Stimme war so flach und leise, als würde jedes Wort sie tiefer in die Vergangenheit ziehen. »Ich versuchte abzuhauen, als sie von Tür zu Tür gingen,aber sie erwischten mich und zerrten mich zurück zu meiner Mama. Ich wehrte mich, aber sie sagten, sie würden meiner Mama wehtun, also gab ich auf. Sie schrie sie an, sie sollten mich gehen lassen, dass ich ein braves Mädchen war, das nie den Guerillas helfen würde. Sie lachten sie aus. Dann vergewaltigten sie uns. Ich dachte, das würde mich umbringen, und als sie mit ihren Macheten meine Mutter zerhackten, sodass mir ihr Blut ins Gesicht spritzte, wünschte ich mir nur noch den Tod.«
Ich zitterte und verschränkte die Arme vor dem Bauch, als sie weitersprach. »Sie ließen mich in ihrem Blut liegen. Gebrochen. Meine Mutter starb für mich. Um mich zu beschützen. Und ich war zu feige, um dasselbe für sie zu tun. Ich hätte sie genauso gut selbst töten können. Also nahm ich ein Seil und suchte einen Baum, um zu beenden, was die Todesschwadron begonnen hatte. Als ich hier ankam und rausfand, wo ich mich befand, war ich nicht einmal überrascht. Ich war nur … Ich wollte nur um mich treten, kratzen, mich an allem abreagieren, was mir über den Weg lief. Aber Takeshi …«
Die Federn der Couch ächzten, als sie sich setzte. »Er hat mich wieder zusammengesetzt, nachdem ich hierher kam. Ich wollte seine Freundlichkeit nicht. Es war zu viel. Ich verdiente sie nicht. Aber egal, wie oft ich um mich schlug, er war da und ertrug es. So stark. Als könnte er das Schlimmste von mir hinnehmen und nicht einmal mit der Wimper zucken. Es dauerte Jahre, aber schließlich konnte er zu mir durchdringen. Und als er es tat, war nur noch Platz für ihn in meinem Herzen. Ich liebte ihn so sehr, dass meine Brust schmerzte, wenn ich ihn nur ansah. Ich wollte ihn mehr als alles andere. Er beging den Fehler, mich auch zu lieben. Er sah mich an, als wäre ich das wundervollste Wesen, das er je gesehen hatte, als wäre ich nicht nur etwas wert, sondern
alles
.«
Sie stand auf und ging langsam auf mich zu, plötzlich sah sie wieder todtraurig aus. »Er liebte mich so sehr, dass er es vor mir verbarg, als er aufhörte zu essen und zu trinken, als es für ihn an der Zeit war zu gehen.
Monatelang
.
Ich wusste, dass er etwas Gewicht verloren hatte, aber er leugnete es, machte eine große Show darum, wie hungrig er angeblichwar, und schlug sich vor unseren Augen den Bauch voll. Ich schätze, er hatte beschlossen, lieber in dieser Hölle zu bleiben als ohne mich in den schönen Himmel zu gehen. Und weißt du, was passierte? Er wurde so schwach, dass die Mazikin ihn überwältigten, als er auf Patrouille war.«
»O mein Gott, Ana, das tut mir so leid.« Ich schaute weg. Ich wollte ihren Gesichtsausdruck nicht sehen, wenn sie mir von ihrer verlorenen Liebe erzählte.
»Ja. Als er starb, tötete das auch einen großen Teil von mir. Also, wenn du glaubst, ich lasse den Rest von mir sterben, wenn Malachi geht, bist du nicht ganz bei Trost. Er versteht, was los ist. Takeshi hat auch ihm sehr viel bedeutet. Ich denke, wir beide finden es zu gefährlich, hier etwas für andere Menschen zu empfinden.«
Ich legte meine Hände auf die Schmutzschicht, die das Fenster bedeckte, ließ den Schweiß von der Handfläche und den Fingern einen sauberen Streifen auf dem Glas ziehen. Ich dachte an Ana und Takeshi, verliebt mitten im Kriegsgebiet, nicht fähig, sich gegenseitig zu beschützen, wissend, dass sie womöglich getrennt würden, wahrscheinlich gewaltsam.
Hatte Takeshi einen Fehler gemacht, als er beschloss, bei seiner Liebe zu bleiben? Hätte er den Himmel über sie stellen sollen? Hätte Ana sich gar nicht erst verlieben dürfen? War das so anders als auf der Erde? Und konnte Malachi nach allem, was er in beiden Welten durchgemacht hatte, es sich leisten, etwas für jemanden zu empfinden, das über seine Pflichten als Wächter hinausging?
Es schien, als hätte er tiefere Gefühle für mich. Jedes Mal, wenn er mich ansah, immer wenn er dieses drollige Lächeln aufsetzte, die wenigen Male, die er mich berührt hatte, fast von Anfang an. Was auch immer zwischen uns war, es hüllte mich ein wie eine Rüstung, ich fühlte mich geborgen und gleichzeitig machte es mir Angst. Wie tief das für ihn ging, konnte ich nicht sagen. Womöglich hatte ich alles falsch verstanden. Aber mal ganz ehrlich, es
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