Innerste Sphaere
Jugendstrafanstalt verbracht, weil ich keine medizinische Untersuchung zulassen und niemanden sagen wollte, was er getan hatte. Vermutlich wollte ich nicht zugeben, dass es überhaupt passiert war.«
Plötzlich saß er kerzengerade da, als hätte er einen Stromschlag bekommen. »Sie haben dich in eine Strafanstalt gesperrt? Warumdas denn?« Ich war mir ziemlich sicher, dass er sich etwas viel Schlimmeres vorstellte als den Jugendknast.
»So übel war es nicht, Malachi. Ich meine, es war hart und ich musste auf mich aufpassen. Aber ich kann mich durchsetzen und nach ein paar Monaten hatten die Leute das rausgefunden und ließen mich in Ruhe.«
Er drückte seine zitternden Hände auf seine Schenkel, als müsste er seine ganze Selbstbeherrschung aufbringen, damit sie blieben, wo sie waren. »Das verstehe ich nicht. Warum wurdest du inhaftiert, wenn er derjenige war, der … der …«
»Es war an dem Abend, als ich den Selbstmordversuch begangen habe. Er hat mich gefunden, bevor es zu spät war, und mich zurückgeholt. Aber ich war immer noch in derselben ausweglosen Lage und das hab ich nicht mehr ausgehalten. Da bin ich einfach … ausgerastet. Ich hab ihm die Scheiße aus dem Leib geprügelt. Hab ihm die Nase und den Kiefer gebrochen. Ihm eine Gehirnerschütterung verpasst. Ich wollte ihn umbringen. Und das hätte ich auch gekonnt. Aber ich hab mich zusammengerissen. Und Debbie, meine Pflegemutter, hat die Polizei gerufen. Wahrscheinlich hätte ich eine viel mildere Strafe bekommen, wenn ich denen gesagt hätte, was er getan hatte, aber ich hab’s nicht ertragen, darüber zu reden. Ich … ich fasse es nicht, dass ich jetzt darüber rede, mit dir.«
Ich drückte die Stirn auf die Knie und legte die Arme über meinen Kopf. Hätte ich den Mund halten sollen? Würde er mich jetzt anders sehen, jetzt, wo alle seine Vermutungen bestätigt worden waren?
Kaputt, so hatte Ana mich genannt. Ich wollte aber nicht kaputt sein. Ich wollte, dass Malachi mich als vollständiges Wesen ansah. Nicht gebrochen. Nicht benutzt.
Ganz behutsam zog er meine Arme weg und griff mir mit den Fingern unters Kinn. »Versteck dein Gesicht nicht vor mir, Lela.« Er hatte diesen hinreißend schüchternen Ausdruck, der machte, dass mein Herz einen Schlag aussetzte.
Ich schob mir die Haare hinter die Ohren und schaute auf unsere Hände. Die meinen lagen zwischen den seinen. Ich wollte mich in diesen Händen einkuscheln, warm und geborgen, und minutenoderstunden- oder tagelang dort ruhen. Ich wollte mich mit ihm verstecken und nicht mehr darüber nachdenken. Und entsprechend handeln. Ich rückte näher und schmiegte mich an, bis sein Arm um meine Schultern lag.
»Tut mir leid«, flüsterte ich. »Ich brauch das. Stört es dich?«
Seufzend lehnte er sich zurück und zog meinen Kopf an seine Brust. Schweigend saßen wir da und ließen uns durch ein paar verrauschte
Buffy
-Folgen von unseren Sorgen ablenken. Gedankenverloren streichelte er mein Haar, wand es um seine Finger, strich es an meinem Rücken glatt. Ich entspannte mich und er legte die Wange auf meinen Kopf. Es fühlte sich gut an. Besser als gut. Normal. Geborgen. Einwandfrei, richtig, gesund … und überhaupt nicht das, was ich erwartet hatte, als ich beschloss, durch die Hölle zu gehen.
»Lela, darf ich dich was fragen?«
»Mhm?« Ich war halb eingeschlafen, wie betrunken von dem Gefühl, in seinen Armen zu liegen.
»Was hat meine Stimme im Turm zu dir gesagt? Was hast du gehört?«
»Du hast gesagt, du müsstest mich wiedersehen. Ist schon gut, ich weiß, dass es nur meine Einbildung war.«
»Kann sein. Ich höre immer meinen Bruder, wenn ich durchgehe. Genau in dem Moment, wenn ich es brauche, wenn ich aufgeben will, dann höre ich ihn. Aber diesmal hab ich nicht seine, sondern deine Stimme gehört.«
»Wirklich? Was hat sie gesagt?«, fragte ich.
»Du hast auch gesagt, du müsstest mich wiedersehen.«
»Hat es geholfen?«
»Mehr als du dir vorstellen kannst.«
Ich schloss meinen Arm fester um seine Taille, wollte von dem Augenblick nicht mehr als das, was war. Mir wurde klar, wie ungewöhnlich das war, wenn man sich diese Stadt und all ihr Elend anschaute, wenn man bedachte, dass man alles haben konnte, was man wollte, ohne je zufrieden zu sein.
Dieser schlichte Augenblick, ihn zu berühren, zu spüren, wie er atmete, seine Hand, die mein Haar streichelte – das war alles, wasich mir nur wünschen, was ich wollen konnte. Ich war ganz davon erfüllt, von
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