Insel, aus Traeumen geboren
Augen funkelten wütend, die kleine Narbe unter seinem Kinn erinnerte sie an einen Unfall in einer Höhle auf Rhodos.
„Wie bringt man so etwas fertig, Olivia? Wie kann man sich dagegen wappnen? Indem man eine Mauer um sich errichtet, wie du es getan hast? Wenn du ein Patentrezept dafür hast, dann solltest du ein Buch darüber schreiben, um die gesamte Welt daran teilhaben zu lassen. Denn ich kapiere es nicht. Ich verstehe dich nicht, Olivia.“
Dann drehte er sich um und stapfte davon. Mit heißen Tränen in den Augen blickte sie ihm nach. Jack hasste sie. Er hielt sie für kalt und herzlos. Dabei hatte er keine Ahnung, wie schwer ihr das alles fiel. Wie sehr sie sich trotz allem nach ihm sehnte. Warum wollte er nicht einsehen, dass es auch zu seinem Besten war?
Olivia fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen und hinterließ auf ihrer Wange eine Dreckspur.
„Mrs.? Hast du Kummer?“
Plötzlich stand Elias neben ihr und schaute sie besorgt an. Sie schenkte ihm ein missglücktes Lächeln.
„Komm mit zum Strand“, bat er. „Ich möchte dir was zeigen.“
„Was denn, Elias?“
Er zog an ihrer Hand. „Komm mit.“
Olivia stand auf und legte ihm den Arm um die Schultern. „In Ordnung.“ Sie war einfach überarbeitet, deshalb saßen bei ihr die Tränen so locker. Obwohl sie jeden Tag mit Kollegen und Studenten zusammen war, hatte sie sich noch nie so einsam gefühlt wie in den letzten Wochen, seit Jack und sie sich im Hotel geliebt hatten. Sie vermisste ihn so sehr, das es ihr wehtat.
Zusammen mit Elias kletterte sie den Pfad zum Strand hinunter. An dem neuen Anleger ankerte ein weißes Motorboot. Sie hatten also tatsächlich den Anlegeplatz repariert und ein kleines Schiff angeschafft, in dem Jack und sie zu dieser anderen Insel fahren wollten.
„Oh, das sieht aber gut aus“, sagte sie lahm.
„Das habe ich nicht gemeint. Schau mal.“ Elias begann, Kieselsteine übers Wasser hüpfen zu lassen. Er tat es wie ein Profi, und Olivia war beeindruckt.
„Toll“, sagte sie. „Du musst ganz schön geübt haben.“
„Mit Mr. Jack. Er hat es mir gezeigt.“
„Ja, ich erinnere mich daran.“
„Nicht nur das eine Mal. Jeden Tag.“
Verblüfft schaute Olivia ihn an. „Jack geht mit dir jeden Tag zum Strand?“
Elias nickte. „Er ist recht nett. Mr. Jack ist dein Mann, stimmt’s?“
„Ja. Das heißt, nein. Nicht wirklich.“
Er sah sie verwirrt an, was Olivia ihm nicht verdenken konnte. Sie war ja selbst ganz verwirrt. Enttäuscht verzog er den Mund und warf den nächsten Stein. Diesmal ging er gleich unter.
Olivia zog Schuhe und Strümpfe aus und watete ins Wasser. Es war so wohltuend erfrischend, dass sie beschloss, öfter herzukommen. Doch dann musste sie aufpassen, dass sie Jack nicht in die Arme lief. Jack, der keine Kinder mehr wollte und sie inzwischen nur noch als Hindernis in seiner Berufslaufbahn betrachtete. Jack, der in seiner Freizeit dem Sohn fremder Leute beibrachte, wie man Kieselsteine übers Wasser schlenzte. Abermals kamen ihr Tränen.
Sie sah, wie Elias jemandem auf den Klippen zuwinkte. „Dort ist Mr. Jack“, sagte er.
Olivia blickte nach oben, konnte jedoch niemanden sehen. Der Junge musste es sich eingebildet haben. Bestimmt war Jack längst wieder in seinem Tunnel und schaufelte wie ein Wilder.
Sie kletterte den Pfad wieder hinauf. Oben angelangt, warf sie einen wehmütigen Blick hinunter auf das Boot, mit dem sie nun nie herumschippern würde. Dann ging sie wieder ihrer Arbeit nach.
Nun würde Jack das Grab allein finden. Er würde sie und ihre Auseinandersetzung vergessen und einsehen, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. So wie die Dinge liefen, würde er ihr vermutlich nicht einmal etwas von seinem Fund sagen. Er würde an die Universität zurückkehren, eine Arbeit darüber schreiben und noch berühmter werden, als er ohnehin schon war. Es konnte ihr wirklich egal sein. Wenn er weiterhin so hart arbeiten wollte, würde sie ihn nicht aufhalten.
Einige Tage später war ihr Team zu einem Empfang beim Bürgermeister eingeladen. Olivia wollte dort auf keinen Fall erscheinen, denn die Erinnerungen an das letzte Fest waren noch zu frisch. Sie hoffte nur, dass Jack hinging und sie nicht die Einzigen waren, die im Camp blieben.
„Wollen Sie wirklich nicht mitkommen, Olivia?“, fragte Marilyn, als sich die Dämmerung auf das Land herabzusenken begann.
„Nein, wirklich nicht. Ich bin heute furchtbar müde. Ich wünsche Ihnen viel
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