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Insel der schwarzen Perlen

Insel der schwarzen Perlen

Titel: Insel der schwarzen Perlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noemi Jordan
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schwach, in ihrem Bauch wütete Feuer, und immer wieder verschwammen die Bilder vor ihrem Auge. Da hörte sie es. Drei Mal kurz hintereinander schrie eine Eule. Sie durfte beginnen und positionierte ihre Beine rechts und links von der Stelle, an der das Kind begraben lag. Sie versuchte, sich das perfekte kleine Gesichtchen in allen Details vorzustellen, damit sie es nie vergessen würde. Die noch fest geschlossenen Augen unter den gewölbten Lidern, die an die Augen eines Geckos im Sonnenlicht erinnerten. Seine hohe, feine Stirn, die sie sofort an Johannes erinnert hatte. Er war noch so winzig gewesen, seine Knochen durchsichtig wie Glas, seine Haut nur ein Hauch von marmoriertem Pergament. Dennoch war er ihr geliebtes Kind. Seit sie sich für ihn entschieden hatte, war keine Nacht vergangen, in dem sie ihm nicht von der Schönheit ihrer Welt erzählt hatte, doch auch von der Ungerechtigkeit und der großen Herausforderung, die auf einen Jungen wie ihn warten würde. Er wäre außer ihr der einzig Weiße in der Familie gewesen, zudem mehr als zehn Jahre jünger als die Zwillinge. Es wäre nicht leicht gewesen, selbst für einen Kahuna nicht. Von Elisas Kindern und Schützlingen gab es nur noch eine Kahuna-Seele, und das war ihre Tochter Emma.
    Elisa stand auf einen Stock gestützt unter der Kette aus weißen Blüten, die das Grab ihres jüngsten Kindes markierte, und sprach mit leiser Stimme die alten hawaiischen Worte, die eine Seele zurück an die Quelle begleiteten. Unzählige Male hatte sie diese Worte nach dem Tod eines Menschen gesprochen, doch beim eigenen Kind fiel es ihr ungleich schwerer. Ihr ha war mit seinem fest verwoben. Ihre beiden Seelen sahen aus wie ein Geflecht aus Moos, das eine dunkel, das andere hell, wobei es eine Weile brauchte, bis sie überhaupt erkennen konnte, welches ihr ha war und welches seins. Das ha war wichtig, vor allem, wenn der Junge gekommen war, um Schlechtes abzuwenden. Ihm gehörte die silbrige Farbe im Geflecht, sie war das dunkle, warme und feuchte Moos. Den wichtigsten Schritt für die Rückführung der Seele hatte sie geschafft. Jetzt musste sie nur noch sein letztes Geschenk empfangen. Er wollte ihr etwas geben, und sie musste versuchen, offen zu sein.
    Sie erinnerte sich daran, wie sich seine feinen Lippen einen kurzen Moment lang geöffnet hatten, nachdem er aus ihrem Leib geschlüpft war. Obwohl er noch keine ausgebildeten Atmungsorgane besaß, um es mit der Wirklichkeit aufzunehmen, hatte es ausgesehen, als wollte er ihr etwas sagen.
    Sie musste sich konzentrieren. Auf ihre innerste Stimme musste sie hören, um jetzt aufnehmen zu können, was der Junge ihr hatte mitteilen wollen. Ganz leise, wie einen Regentropfen auf einem Blütenblatt, vernahm sie tief in ihrem Inneren sein geflüstertes Wort: ho’oipoipo – Liebe.
    Viele Stunden lang saß sie noch am Stamm des tröstenden Baumes in seiner Nähe, weil sie nicht mehr stehen konnte. Sie wiegte sich in einem Schmerz hin und her, der sehr viel früher begonnen hatte. Die Bilder in ihrem Kopf strömten wie ein Wasserfall. Sie sah in ihrer deutschen Heimat Tod und Verderben, einen erbarmungslosen Krieg, Schützengräben mit verwundeten Soldaten, die in verzweifelter Todesangst nach ihren Müttern schrien.
    Das also war sein Geschenk, die Gabe des kleinen Kahuna-Jungen. Elisa durfte noch mehr sehen, sie durfte in die Zukunft schauen. Sogar eine Zahl erkannte sie in dem Wasserfall des Grauens: 1914. In drei Jahren würde es einen Krieg geben, der die Welt für immer verändern würde.
    Zunächst wollte Elisa nicht wahrhaben, was sich in ihrem Leben, aber vor allem in ihrer alten Heimat als schwarze Sturmwand des Grauens ankündigte. Als Kahuna hatte sie die bedrohliche Dichte der schwarzen Energien schon eine ganze Zeit lang wahrgenommen. Sie hatte gesehen, wie die Menschen in Hawaii immer mehr nach Besitz strebten, gieriger wurden, aber vor allem auch zunehmend verdummten. Nur hatte sie bisher nicht gewusst, wo dies alles hinführen würde. Einen Weltkrieg hatte sie noch nicht einmal in Erwägung gezogen.
    Sie betete zu allen Göttern, die sie kannte, aber vor allem zu dem einen, der am Kreuz hing, um den Schmerz zu ertragen, den Elisa allein nicht würde schultern können. Bitte beschütze meine Kinder, all meine Freunde, meine neue Heimat Hawaii, aber auch mein geliebtes Deutschland. Halte deine

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