Insel der Sehnsucht, Insel des Gluecks
hatte eine modernere Erziehung genossen als den meisten griechischen Mädchen aus reichem Haus zugestanden wurde, hatte Internate in England und in der Schweiz besucht und hätte zur Universität gehen können, wenn sie es gewollt hätte.
Bei Chloes und Leons Ankunft in Athen erwartete Marisa sie in Leons luxuriöser Stadtwohnung, die zwei große Etagen einnahm. Chloe war zunächst von der Pracht ihres neuen Zuhauses so überwältigt, dass sie die Kälte, mit der Marisa ihr begegnete, kaum wahrnahm. Doch mit der Zeit wandelte sich diese Kälte zu einer offenen Feindseligkeit - vor allem, wenn Leon nicht zu Hause war. Zu der Zeit war Chloe schon schwanger, hatte Leon die große Neuigkeit jedoch noch nicht gesagt, weil sie sich zuerst ganz sicher sein wollte.
Er war für eine Woche geschäftlich nach Paris geflogen, und Chloe erinnerte sich noch genau, wie sehr sie ihn vermisst hatte
- und wie sehr sie sich freute, als von ihrem Arzt die schriftliche Bestätigung eintraf, dass sie tatsächlich schwanger sei.
Ihr Verhältnis zu Marisa war während Leons Abwesenheit noch schwieriger als sonst, und das Ausmaß der Ablehnung und Grobheit, die ihr das Mädchen entgegenbrachte, hätte Chloe vielleicht damals schon die wahren Hintergründe vermuten lassen können. Doch sie war noch so naiv und unerfahren und so erpicht darauf gewesen, die Freundschaft von Leons Halbschwester zu gewinnen, dass sie die Augen vor der Wahrheit verschloss und nichts Unnatürliches darin sehen wollte, wie eifersüchtig Marisa ihren Halbbruder für sich vereinnahmte.
Einige Male hatte Chloe Leon vor seiner Abreise nach Paris auf ihr problematisches Verhältnis zu Marisa angesproche n.
Doch er hatte sie immer wieder beschwichtigt und mit seinen Küssen alles andere vergessen lassen. Wäre sie nicht so blind verliebt gewesen, wäre sie vielleicht auf den Gedanken gekommen, die Gründe zu hinterfragen, warum Leon sich so offensichtlich sperrte, mit ihr, seiner Frau, über seine Halbschwester zu sprechen.
Erst an dem Tag, als Chloe die Bestätigung ihrer
Schwangerschaft erhielt, erfuhr sie auch die Wahrheit über Leon und Marisa. Rückblickend nahm sie an, dass Marisa die Nachricht des Arztes gelesen und die Neuigkeit, dass ihre verhasste Rivalin ein Kind von Leon bekam, einen ihrer maßlosen Wutanfälle ausgelöst haben musste.
Auf jeden Fall stürzte Marisa an diesem späten Vormittag aufgebracht in Chloes und Leons Schlafzimmer, wo Chloe sich gerade zu einem Einkaufsbummel umziehen wollte, und kam ohne Umschweife zur Sache. Überschäumend vor Hass und Eifersucht tischte sie Chloe die unfassbare, hässliche Wahrheit auf: Sie und Leon seien schon seit fast zwei Jahren ein Liebespaar.
Zuerst wollte Chloe es nicht glauben, doch - einmal in Fahrt -
zerstreute Marisa bald jegliche Zweifel an ihren Worten.
"Würde ich etwas so Schändliches behaupten, wenn es nicht wahr wäre?" fragte sie höhnisch. "Kannst du dir nicht vorstellen, wie ich mich fühle, wissend, dass ich nie als seine Frau an seiner Seite leben kann? Dass ich immer die ,Schwester' im Hintergrund bleiben muss? Was glaubst du, warum er eine so unbedeutende Person wie dich geheiratet hat?"
Marisas Augen funkelten boshaft. "Ganz bestimmt nicht, weil er sich in deinen dürren Körper und dein blasses blondes Haar verliebt hat! Nein, er hat dich geheiratet, um mich zu schützen.
In meinem Alter sind die meisten griechischen Mädchen aus gutem Haus bereits verheiratet. Schon bald werden die Leute zu reden anfangen. Und um mich vor diesem Gerede zu
beschützen, hat Leon dich geheiratet. Für mich kommt eine Heirat längst nicht mehr infrage, denn Leon müsste der Familie meines Zukünftigen Rede und Antwort stehen, warum die Braut nicht mehr jungfräulich ist. Wie sollte Leon dafür eine zufrieden stellende Erklärung finden?"
Für Chloe stürzte eine Welt zusammen. Leon und Marisa.
Leon hatte sie, Chloe, nur geheiratet, um eine ehrenwerte Fassade zu schaffen, hinter der er seine Halbschwester schützen konnte. Nein! Sie wollte es nicht glauben ... und doch ergab es auf schreckliche Weise Sinn. Die Hast, mit der er sie zur Heirat gedrängt hatte, ohne ihr Zeit zu lassen, diesen Schritt in Ruhe zu überdenken. Sein Unwillen, mit ihr über Marisa zu sprechen.
Und nicht zuletzt das, was sie, Chloe, naiverweise für eine einseitige, bedenkliche Schwärmerei eines jungen Mädchens für seinen älteren Bruder gehalten hatte.
Hatte sie sich nicht auch immer wieder verwundert gefragt,
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