Insel der Sehnsucht: Roman (German Edition)
euch schon anders.« Sie strich ihr nasses Haar zurück. Wenn sie zu Fuß zurückgegangen wäre, bemerkte Jo, hätte sie keine Konversation machen müssen. »Sie wohnen also im Little Desire Cottage, unten am Fluß.«
»Woher wissen Sie das?«
»Ach, hier weiß jeder alles. Nein, meine Familie vermietet die Cottages und betreibt die Pension und das Restaurant. Und zufällig habe ich gestern die Betten von Little Desire für den Yankee bezogen, der ein halbes Jahr bleiben will.«
»Also sind Sie meine Automechanikerin, Vermieterin und Zimmermädchen. Da hab’ ich ja wirklich Glück gehabt. Und an wen muß ich mich wenden, wenn mein Abfluß verstopft ist?«
»Dann öffnen Sie den Unterschrank und holen den Stampfer raus. Und falls Sie dafür eine Bedienungsanleitung brauchen, werde ich sie Ihnen gerne aufschreiben. Hier ist die Gabelung.«
Nathan bog rechts ab. »Noch eine Frage. Wenn ich gerne ein paar Steaks auf den Grill werfen, eine Flasche Wein aufmachen
und Sie zum Abendessen einladen würde, an wen muß ich mich dann wenden?«
Jo wandte sich ihm zu und schenkte ihm einen kühlen Blick. »An meine Schwester. Wahrscheinlich hätten Sie bei ihr mehr Glück. Sie heißt Alexa.«
»Kann sie auch Vergaser reparieren?«
Lachend schüttelte Jo den Kopf. »Nein, aber sie ist dafür sehr dekorativ und läßt sich gern von Männern einladen.«
»Sie etwa nicht?«
»Sagen wir es so: Ich bin etwas wählerischer als Lexy.«
»Autsch.« Pfeifend rieb sich Nathan die Brust über seinem Herzen. »Volltreffer.«
»Ich erspare uns beiden nur Zeit. Da ist Sanctuary.«
Durch den Regenvorhang sah er das Haus langsam auftauchen. Majestätisch erhob es sich aus dem leichten Nebel, der dicht über dem Boden lag. Es war alt und erhaben, so elegant wie eine Südstaatenschönheit, die sich für eine Abendgesellschaft zurechtgemacht hat. Geschwungene Einfassungen nahmen den hohen Fenstern die Strenge, und schmiedeeiserne Gitter schmückten die Balkone, auf denen Terrakottatöpfe mit Blumen standen.
»Verblüffend«, sagte Nathan halb zu sich selbst. »Die jüngeren Anbauten fügen sich perfekt in die Originalstruktur ein und betonen sie eher noch, anstatt modern zu erscheinen. Eine wunderbare Harmonie. Klassischer Südstaatenstil, ohne abgedroschen zu sein. Als wäre die Insel für dieses Haus geschaffen worden und nicht umgekehrt.«
Am Ende der Auffahrt hielt er an und bemerkte erst dort, daß Jo ihn ansah. Zum ersten Mal stand Neugier in ihren Augen.
»Ich bin Architekt«, erklärte er. »Gebäude wie dieses begeistern mich immer wieder.«
»Na, dann möchten Sie sicher auch eine Besichtigungstour durch die Räume machen.«
»Zu gerne. Und allein dafür würde ich Ihnen ein Abendessen schulden.«
»Vielleicht führt Sie ja Tante Kate durchs Haus. Sie ist eine Pendleton«, fügte Jo hinzu, als sie die Tür öffnete. »Und Sanctuary
gehört zum Besitz der Pendletons. Sie kennt das Haus am besten. Treten Sie ein. Hier können Sie ein bißchen trocknen und die Schlüssel in Empfang nehmen.«
Sie ging rasch die Treppe hoch und blieb auf der Veranda stehen, um ihr nasses Haar auszuschütteln. Sie wartete, bis er neben ihr stand.
»Mein Gott, diese Tür.« Ehrfurchtsvoll ließ Nathan seine Fingerspitzen über das Holz gleiten.
»Honduranisches Mahagoni«, klärte Jo ihn auf. »Importiert im frühen neunzehnten Jahrhundert. Lange bevor man sich Gedanken über die Abholzung des Regenwaldes machte. Aber sie ist wirklich wunderschön.« Jo drehte den schweren Messingknauf und betrat Seite an Seite mit ihm Sanctuary.
»Die Bodendielen sind aus Kiefernholz«, begann sie. »Ebenso die Haupttreppe. Das Geländer ist Eiche und wurde hier auf Desire hergestellt, als es noch eine Baumwollplantage war. Der Kronleuchter ist etwas jünger und wurde von der Gattin Stewart Pendletons, des Reeders, der das Haupthaus wieder aufbaute und die Flügel anfügte, in Frankreich gekauft. Ein Großteil des Mobiliars ist im Bürgerkrieg verlorengegangen, aber Stewart und seine Frau haben ausgedehnte Reisen unternommen und hier und dort Antiquitäten gekauft, die ihnen gefielen und zu Sanctuary paßten.«
»Er hatte ein ausgezeichnetes Auge«, kommentierte Nathan, während sein Blick durch die weite, hohe Halle schweifte.
»Und eine dicke Brieftasche«, fügte Jo hinzu. Sie zwang sich zur Geduld und ließ ihn sich in Ruhe umschauen.
Die Wände waren in sanftem Blaßgelb gehalten, das die Halle selbst an den gnadenlos heißen Sommernachmittagen
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