Insel der Traumpfade Roman
zu besänftigen. Die Kinder weinten, als sie zusehen mussten, wie Billy das Pferd ans Floß führte und sich auf den weiten Weg nach Sydney machte. Alice hatte keine Angst, dass sie mit den Kindern nicht fertig würde – sie hatte sich um ihre jüngeren Geschwister gekümmert, bis sie geheiratet hatten –, doch Nells Anschuldigungen ließen sie nicht los.
»Und wenn sie recht gehabt hat?«, fragte sie Jack. »Wenn ich nun wirklich Unglück über Moonrakers gebracht habe?«
»Abergläubischer Unsinn!« Jack nahm die Zwillinge und brachte sie ins Haus zurück.
Alice stand in der Mittagsglut und sah, wie der Staub von dem heißen Wind, der aufgekommen war, über den Boden getrieben wurde. Der Anflug von Zweifel, der in Jacks Blick gelegen hatte, war ihr nicht entgangen.
Fünf
Waymbuurr (Cooktown), Dezember 1797
A uf ihrer Wanderung vernahm Lowitja den Gesang der Ahnengeister und wusste, dass sie bald sterben würde. Die Geister hatten ihr gesagt, sie solle den Uluru verlassen, und der Weg an die nordöstlichen Küsten des Volkes der Ngandyandi hatte viele, viele Monde gedauert. Jetzt hatte sich die Schwäche tief in ihren Knochen festgesetzt, ihre Widerstandskraft und Stärke waren fast besiegt. Sie sehnte sich danach, sich niederzulegen, jenen Sirenengesängen nachzugeben und den Großen Weißen Weg emporzugleiten, um wieder mit ihrer Familie vereint zu sein – doch sie war zu weit gekommen, um sich jetzt schon geschlagen zu geben. Der Tod musste noch warten.
Sie blickte auf den siebenjährigen Jungen an ihrer Seite. Mandawuy war groß geworden und reichte ihr nun fast bis an die Schulter. Er war schmächtig, dunkle Locken umrahmten sein Gesicht, doch aus seinen bernsteinfarbenen Augen sprach ein Wissen, das weit über sein Alter hinausreichte – ein Wissen, das er am heiligen Ort des Honigbienentraums am Uluru erworben hatte.
Das war der Grund für die große Wanderung, die sie bis ans Ende ihres tapferen Lebens geführt hatte. Die Ahnengeister hatten durch die Steine zu ihr gesprochen und sie durch das öde Land geführt, über Berge und durch Sümpfe, bis an diese nördlichen Gestade, damit Mandawuy vor dem Einfluss des weißen Mannes geschützt blieb.
»Ist es noch weit, Großmutter?«, fragte er.
Lowitja roch die salzige Luft. »Wir sind bald da. Waymbuurr liegt direkt hinter jenen Hügeln.«
Mandawuys Blick wanderte weit hinaus an den schimmernden Horizont. »Es wird gut sein, wieder bei unserem Volk zu sein. Dann kannst du dich ausruhen und wieder zu Kräften kommen.«
Beim Gehen schlug das letzte mit Wasser gefüllte Emu-Ei leicht an Lowitjas knochige Hüfte. Die anderen Eier waren längst geleert und zurückgelassen, doch Lowitja war inzwischen so gebrechlich, dass sogar dieses leichte Gewicht sie schwächte. Sie deutete auf die Dünen. »Suche uns etwas zu essen, Mandawuy. Es wird Zeit.«
Er rannte durch den weichen Sand hinauf, voll Energie und kindlicher Erregung, der die Hitze und Anstrengung nichts anhaben konnten. Oben angekommen, blieb er kurz stehen, um voller Ehrfurcht auf das unendliche, glitzernde Meer zu schauen, und stürzte dann in hektischem Lauf hinunter an den Strand, um nach den Muscheln und Austern zu suchen, die seine Großmutter ihm auf ihrem langen Weg beschrieben hatte.
Lowitja trottete weiter und wehrte sich mit jedem Schritt gegen den Tod. Jeder Herzschlag brachte sie Anabarru und der heiligen Stätte näher. Sie bewunderte Mandawuys Jugend und Charakterstärke, denn er hatte nie geschwankt, nie den Sinn ihrer Wanderung in Frage gestellt. Mandawuy würde ein guter Krieger und Wächter des Landes werden.
Sie wusste, dass die Geschichte ihrer Wanderungen über die unwirtlichen Ebenen an die Wände einer heiligen Höhle gemalt und an Lagerfeuern erzählt werden würde und die nachfolgenden Generationen diese kostbare Erde behüten und nähren würden. Sie und ihr Enkel waren die Letzten ihres Volkes, das letzte Bindeglied zwischen den großen Ahnen Djaney und Garnday, die einst die gewaltigen Stämme der Ngandyandi und Kunwinjku angeführt hatten. Die Wanderung, die sie vor so vielen Monden begonnen hatten, war fast zu Ende, und sobald sie ihr Versprechenan die Ahnengeister erfüllt und Mandawuy in die Obhut ihrer Kusine Anabarru und des Volkes der Ngandyandi gegeben hätte, könnte sie schlafen, bis die Zeit der Wiedergeburt gekommen war.
Als die Sonne ihren Höchststand erreichte und der Horizont in der Hitze verschwamm, hielten sie an, um sich im Schatten von
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