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Insel der Verlorenen Roman

Titel: Insel der Verlorenen Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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er über die Schwelle und starrte fassungslos auf das leuchtend rote Gefängnis.
    »Jem!«, rief Richard.
    Sie umarmten sich ausgiebig und traten dann einen Schritt zurück, um sich gegenseitig zu betrachten. Fast zehn Jahre waren ins Land gezogen, seit sie sich zum letzten Mal gesehen hatten, und in diesen zehn Jahren hatten sich beide Männer stark verändert.
    Mr Thistlethwaite machte einen gepflegten, wohlhabenden Eindruck, fand Richard. Sein weinroter Anzug war aus feinstem Tuch, die Knöpfe aus Mohair, auf dem Kopf trug er eine Perücke, den Hut säumte eine goldene Borte, die Uhrenkette bestand ebenso wie die Uhr aus Gold, die kniehohen Stiefel glänzten tiefschwarz. Sein Bauch war nobel gerundet und das Gesicht voller und daher weniger faltig als früher, auch wenn die vom Grog zum Blühen gebrachte Knollennase jetzt purpurrot leuchtete. Der Blick seiner wässrig blauen, blutunterlaufenen Augen war voller Liebe auf sein Gegenüber gerichtet.
    Mr Thistlethwaite sah in Richard zwei verschiedene Männer,
die jeweils für kurze Augenblicke zum Vorschein kamen. Der alte Richard und der neue, untrennbar miteinander verbunden. Herrgott, wie gut er aussah! Wie hatte er das fertig gebracht? Die Stoppelhaare schienen noch dunkler zu sein als seine früher ohnehin schon dunklen Haare, und die Haut, obgleich tief gebräunt, war so makellos wie Elfenbein. Er war rasiert und sauber, und das an der Brust aufgeknöpfte Sonntagshemd zeigte seinen muskulösen Oberkörper. Spürte er die Kälte nicht? Denn obwohl es in dem blutroten Kerker eiskalt war, trug Richard keinen Mantel und schien sich wohl dabei zu fühlen. Auch seine Schuhe und Strümpfe waren sauber. Nur die Fußfesseln! Ketten an einem so geduldigen und friedfertigen Menschen wie Richard Morgan. Der Gedanke war unerträglich. Am meisten verändert hatten sich die graublauen Augen. Sie waren immer ein wenig verträumt gewesen, sanft und von einem heiteren Ernst beseelt. Davon war nichts mehr zu spüren. Bestimmt und wach sahen sie ihn an.
    »Richard, wie erwachsen du geworden bist! Ich hatte mit allen möglichen Veränderungen gerechnet, aber nicht damit.« Mr Thistlethwaite kniff sich in den Nasenrücken und zwinkerte mit den Augen.
    »William Stanley, das ist Mr James Thistlethwaite«, sagte Richard zu einem verhutzelten Männlein neben ihm. »Jetzt macht uns Platz und lasst uns einen Augenblick in Ruhe. Ich stelle euch später vor.« An Jem gewandt, fügte er hinzu: »Privatsphäre ist an Bord der Ceres absolute Mangelware, aber nicht unmöglich. Setz dich doch!«
    »Du bist ja der Anführer!«, sagte Jem erstaunt.
    »Nein, ich weigere mich, es zu sein. Ich muss nur manchmal etwas energisch auftreten, aber das müssen hier alle. Ein Anführer muss reden und auftreten können, und ich bin hier kein größerer Redner als in Bristol. Ich möchte auch gar niemanden anführen außer mir selbst, nur manchmal muss ich es, Jem. Sie sind manchmal wie Schafe und ich will nicht, dass sie geschlachtet werden. Außer Will Connelly, der ebenfalls Colstons Knabenschule besucht hat, sind sie nicht im Stand, ihren Verstand zu gebrauchen. Und für den Unterschied zwischen Will Connelly und mir ist im
Grunde Vetter James, der Apotheker, verantwortlich. Hätte ich ihn nicht gekannt und wäre er nicht so gut zu mir gewesen, gäbe es den Richard Morgan nicht, den du vor dir siehst. Ich wäre wie die armen Iren aus Liverpool dort drüben ein Fisch auf dem Trockenen.« Richard lächelte und ergriff Mr Thistlethwaites Hand. »Aber jetzt erzähl mir von dir. Du siehst prächtig aus.«
    »Ich kann es mir leisten, prächtig auszusehen, Richard.«
    »Hast du reich geheiratet wie ein echter Bristoler?«
    »Nein. Doch verdiene ich mein Geld tatsächlich mit Frauen. Vor dir steht ein Mann, der - natürlich unter Pseudonym - Romane zur Erbauung der Damenwelt schreibt. Die Lektüre von Romanen ist die neueste Passion der Frauen, was wohl daher kommt, dass man ihnen das Lesen beibringt, sie aber nichts tun lässt. In Buchläden, Zeitschriften und Leihbüchereien habe ich mit meinen Fortsetzungsromanen erstaunlicherweise mehr Erfolg als seinerzeit mit meinen Satiren. In jedem Pfarrhaus, Gutshaus und Hotel gibt es lesende Damen. Mein Publikum erstreckt sich über ganz Großbritannien, da in Schottland und Irland ebenfalls fleißig gelesen wird. Sogar in Amerika habe ich Leser.« Er schnitt eine Grimasse. »Ich trinke jedoch keinen Cave-Rum mehr, ja eigentlich trinke ich überhaupt keinen Rum mehr,

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