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Insel der Verlorenen Roman

Titel: Insel der Verlorenen Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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in Bristol wissen, Jem. Bei gutem Wind kann ein Schiff an einem einzigen Tag knapp zweihundert Meilen zurücklegen. Selbst unter Berücksichtigung der Zeit, die das Schiff unterwegs in Häfen liegt oder die es durch ungünstige Winde und durch Flauten verliert, dauert die Reise womöglich nur ein halbes Jahr.«
    »Haarspaltereien, Richard. Ob die Reise nun ein halbes oder ein ganzes Jahr dauert, die Botany Bay liegt nicht nur am anderen Ende der Welt, sondern auch an deren Unterseite. Und jetzt habe
ich genug. Ich muss gehen.« Plötzlich müde geworden, stand Mr Thistlethwaite auf.
    Gut, dass sie dem geduldigen Richard zur Last fallen und nicht mir, dachte er. Er schlug laut an die Tür, um hinausgelassen zu werden. Ich hätte schon längst die Partei Edmund Burkes ergriffen und den ganzen Haufen hängen lassen. Was sollen sie in der Botany Bay? Dort können sie doch nur noch verzweifeln.
    Der Dienst habende Wärter öffnete die Tür. »Lebt wohl!«, rief Mr Thistlethwaite. »Wir werden uns bald wieder sehen!«
    »Ein feiner Mann, dieser Mr Thistlethwaite«, sagte Bill Whiting und setzte sich auf den frei gewordenen Platz neben Richard. »Ist das dein Londoner Informant, Schätzchen?«
    Richard zuckte zusammen, als er den alten Spitznamen hörte. »Nenn mich nicht so, Bill«, sagte er ein wenig traurig. »Es erinnert mich an die Frauen im Gefängnis von Gloucester.«
    »Tut mir Leid.« Bill hatte viel von seiner früheren Munterkeit verloren. Witzbolde waren auf der Ceres nicht gern gesehen. Etwas anderes fiel ihm ein. »Ich dachte anfangs, Stanley aus Seend würde einer von uns werden, aber er gibt sich nur mit uns ab, weil er scharf auf unser Geld ist.«
    »Was erwartest du, Bill? Du und Taffy, ihr habt lebende Tiere geklaut. Stanley aus Seend hat einem toten das Fell abgezogen. Er wird wehrlose Opfer immer nach Kräften schröpfen.«
    »Hm«, sagte Bill mit einem nachdenklichen Blick, der schlecht zu seinem aufgeweckten, runden Gesicht passen wollte. »Wenn nur zur Hälfte stimmt, was du und Mr Thistlethwaite gesagt habt, ist es zur Botany Bay eine lange Fahrt. Stanley könnte ein Stück Holz auf den Kopf fallen. Und wäre es nicht eine Genugtuung, wenn Mr Sykes vor unserer Abfahrt einen Unfall hätte?«
    Richard packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn. »An solche Dinge denkt man nicht, Bill, und sagen tut man sie erst recht nicht! Es gibt für uns nur eine Möglichkeit, dieser Hölle zu entrinnen: Wir müssen sie ertragen, ohne die Aufmerksamkeit derer zu erregen, die unser Elend noch vergrößern könnten. Hasse sie von mir aus, aber ertrage sie. Alles hat irgendwann ein Ende, auch die Ceres und früher oder später die Botany Bay. Wir sind nicht
mehr jung, aber auch noch nicht alt. Begreift ihr denn nicht? Wer überlebt, gewinnt! Nur das darf uns interessieren.«
     
    Und so verstrich die Zeit. Immer wieder tauchte der Eimer des Baggerbootes in das Wasser der Themse ein. Stinkende Schlammhaufen wuchsen empor. Auch das Orlopdeck der Ceres stank und die Leichen, die einmal in der Woche auf einem Stück Ödland in der Nähe von Woolwich beerdigt wurden, das Mr Duncan Campbell eigens zu diesem Zweck erworben hatte. Neue Gefangene trafen ein, andere starben und wurden zur Beerdigung abtransportiert, darunter allerdings niemand aus Richards oder Ike Rogers’ Gruppe.
    Zwischen den Insassen des Orlopdecks entwickelte sich eine gewisse, aus der gemeinsamen Not geborene Kameraderie, am schwächsten ausgeprägt zwischen Gruppen, die sich auf Grund ihrer verschiedenen Dialekte kaum verständigen konnten. Nach sieben Monaten kannte man die anderen Gesichter. Man nickte einander zu und tauschte Klatsch und Neuigkeiten und bisweilen simple Höflichkeiten aus. Es gab Kämpfe, einige davon erbittert, und es gab Denunzianten und Opportunisten wie William Stanley aus Seend, und gelegentlich starb jemand eines gewaltsamen Todes.
    Wie in jeder Zwangsgemeinschaft ganz verschiedener Menschen kristallisierte sich nach einer Weile ein Beziehungsgefüge heraus. Richard und Ike Rogers hielten die anderen Gruppen durch ihre monatlich wiederholten händelschen Gesänge und hippokratischen Anrufungen auf Distanz, doch waren sie zugleich nicht unbeliebt. Sie waren weder Schläger und Tyrannen noch ließen sie sich von anderen herumkommandieren. Leben und leben lassen lautete ihre Devise, die für das Leben an Bord gut geeignet schien.
    Mr Zachariah Partridge sah keinen Grund, seine Meinung über die Baggermannschaft zu ändern.

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