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Insel der Verlorenen Roman

Titel: Insel der Verlorenen Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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Grund auch immer. Es fehlte also an geeigneten Schiffen, und womöglich bestand die Inspektion der Marine lediglich darin, aus einer Reihe von schlechten Schiffen die besten herauszusuchen.« Mr Thistlethwaite sah, wie sich Bestürzung auf die Gesichter seiner Zuhörer malte, und bereute seine Offenheit. »Ihr braucht deshalb nicht zu fürchten, dass die Schiffe, mit denen ihr fahrt, gleich untergehen werden. Kein Reeder kann es sich leisten, seine Schiffe leichtfertig aufs Spiel zu setzen, auch wenn sie noch so gut versichert sind. Nein, ich wollte damit eigentlich etwas ganz anderes sagen.«
    Richard ergriff das Wort. »Ich weiß, was du sagen wolltest, Jem. Dass unsere Transportschiffe Sklavenschiffe sind. Warum auch nicht? Der Sklavenhandel ist zurückgegangen, seit man uns nicht mehr nach Georgia und Carolina reinlässt, von Virginia ganz zu schweigen. Deshalb stehen jede Menge Sklavenschiffe zur Verfügung. Und sie sind bereits für den Transport von Menschen gebaut. In den Häfen von Bristol und Liverpool liegen viele solche Schiffe, und einige von ihnen haben Platz für mehrere hundert Sklaven.«
    »So ist es«, sagte Mr Thistlethwaite seufzend. »Ihr werdet in Sklavenschiffen fahren, das heißt die von euch, die für den Transport ausgewählt werden.«
    »Ist schon bekannt, wann wir fahren?«, fragte Joe Robinson aus Hull.
    »Nein.« Mr Thistlethwaite blickte in die Gesichter der Sträflinge und grinste. »Aber jetzt noch zu etwas anderem. Es ist Weihnachtszeit, und ich habe dafür gesorgt, dass alle Gefangenen auf dem Orlopdeck der Ceres ein halbes Pint Rum erhalten. Unterwegs kriegt ihr keinen, also trinkt langsam und behaltet ihn eine Weile im Mund.«
    Er zog Richard beiseite. »Ich habe dir noch ein paar Filtersteine von Vetter James mitgebracht. Sykes wird sie dir geben.« Er umarmte Richard so fest, dass niemand bemerkte, wie der Beutel mit Guineen von seiner Manteltasche in Richards Jackentasche glitt. »Das ist alles, was ich für dich tun kann, mein lieber Freund. Schreibe mir, sobald du kannst, ich bitte dich.«

    »Ich spüre ein Prickeln in den Daumen«, sagte Joey Long am 5. Januar 1787 beim Abendessen. Er zitterte.
    Die anderen sahen ihn ernst an. Joey war ein einfaches Gemüt, aber er hatte bisweilen Vorahnungen, die sich später bewahrheiteten.
    »Und warum, Joey?«, fragte Ike Rogers.
    Joey schüttelte den Kopf. »Weiß nicht. Die Daumen prickeln eben.«
    Doch Richard wusste es. Der nächste Tag war der 6. Januar, und in den vergangenen zwei Jahren war er immer am 6. Januar zu einem neuen Ort des Leidens aufgebrochen. »Joey spürt, dass eine Veränderung bevorsteht«, sagte er. »Heute Nacht packen wir. Wir waschen uns, schneiden uns die Haare, suchen uns gegenseitig nach Läusen ab und sorgen dafür, dass auf sämtlichen Kleidungsstücken, Säcken, Taschen und Kisten unsere Namen stehen. Morgen geht es auf die Reise.«
    Job Hollisters Lippen zuckten. »Vielleicht sind wir ja gar nicht dabei.«
    »Möglich. Aber ich glaube, Joeys Daumen sagen, dass wir dabei sind.«
    Vielen Dank für das halbe Pint Rum, Jem Thistlethwaite. Während das ganze Orlopdeck der Ceres schnarchte, konnte ich deine Guineen in unseren Kisten verstecken. Außer mir weiß niemand davon.

TEIL VIER
    Januar 1787 bis Januar 1788

    B ei Tagesanbruch wurden die Sträflinge ausgesondert, insgesamt sechzig Mann in den üblichen Sechsergruppen, während die dreiundsiebzig anderen, die verschont blieben, zutiefst erleichtert dreinschauten. Wer die zehn Gruppen, die das Orlopdeck der Ceres verlassen sollten, ausgewählt hatte und nach welchen Kriterien, wusste niemand. Man wusste nur, dass Mr Hanks und Mr Sykes eine Liste hatten und nach ihr verfuhren. Das Alter der Ausgesonderten schwankte zwischen fünfzehn und sechzig. Die meisten hatten, wie alle alten Hasen wussten, keinen Beruf, und einige waren sogar krank. Doch Überlegungen dieser Art lagen Mr Hanks und Mr Sykes fern. Sie hatten ihre Liste, und das genügte ihnen offenbar.
    William Stanley aus Seend und Mikey Dennison, der Epileptiker, hüpften vor Freude, da ihre Namen nicht auf der Liste standen. Auf der Ceres ließ es sich aushalten, zumal sie bald frische Decken bekommen sollten.
    »Sieh dir die Arschlöcher an«, zischte Bill Whiting, »wie sie feixen.«
    Die Tür schwang auf, und vier neue Sträflinge wurden hereingestoßen. Will Connelly und Neddy Perrott protestierten lautstark.
    »Crowder, Davis, Martin und Morris aus Bristol«, erklärte Connelly. »Die hat

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