Insel der Verlorenen Roman
musste arbeiten, um seine Familie zu ernähren, um sicherzustellen, dass sie keinen Mangel litt. Doch Peg hatte ihn auf die Hand geschlagen, zum ersten Mal seit sie verheiratet waren, und William Henry hatte gezittert.
Was kann ich tun? Wie finde ich einen Ausweg? Heute habe ich unwissentlich eine Kluft aufgerissen, obwohl ich die besten Absichten hatte. Ich habe nie viel vom Leben verlangt oder erwartet. Ich will nur mit meiner Familie zusammen sein, dann bin ich glücklich. Ich gehöre zu ihnen, und sie gehören zu mir, jedenfalls habe ich das bisher immer angenommen. Tut sich eine solche Kluft immer auf, wenn sich etwas ändert? Wie tief ist sie? Wie breit?
»Senhor Habitas«, sagte Richard gleich zu Beginn seines zweiten Arbeitstages, »wie viele Musketen erwarten Sie täglich von mir?«
Tomas Habitas sah ihn unbewegt an. Er ließ sich selten etwas anmerken. »Warum fragst du, Richard?«
»Ich will nicht den ganzen Tag bleiben, Sir. Es ist nicht mehr wie früher. Auch meine Familie braucht mich jetzt.«
»Das verstehe ich«, sagte Senhor Habitas freundlich. »Das Problem ist unlösbar. Man arbeitet, um Geld zu verdienen und seiner Familie ein angenehmes und sorgenfreies Leben zu ermöglichen, doch die Familie braucht mehr als nur Geld, und man kann nicht gleichzeitig an zwei Orten sein. Ich zahle dich pro Muskete, Richard. Das bedeutet, du verdienst so viel oder so wenig, wie du Musketen fertig stellst.« Er zuckte die Achseln, eine ungewohnte Geste bei ihm. »Natürlich hätte ich gerne fünfzehn oder zwanzig am Tag, ich bin aber auch mit einer zufrieden. Entscheide das selbst.«
»Zehn am Tag, Sir?«
»Zehn genügen vollkommen.«
Richard kehrte bereits am Nachmittag nach Hause zurück, nachdem er zehn Musketen gebaut und erfolgreich getestet hatte. Senhor Habitas war zufrieden, und er selbst würde genug Zeit für William Henry und Peg haben. Er würde genug Geld sparen können, um den Traum vom Haus auf dem Clifton Hill zu verwirklichen. Sein Sohn konnte jetzt schon gehen. Bald würden die Verlockungen der Broad Street durch die offene Wirtshaustür dringen, und William Henry würde zu eigenen Abenteuern aufbrechen. Dann war es viel besser, wenn ihn seine Schritte über nach Blumen duftende Wege führten statt zum stinkenden Froom.
Er betrat den Schankraum, doch noch bevor er Peg oder William Henry begrüßen konnte, sprang Mr James Thistlethwaite von seinem Tisch auf und umarmte ihn heftig.
»Lass mich los, Jem! Deine Pistolen werden losgehen!«
»Richard! Ich dachte schon, ich würde dich nicht wieder sehen!«
»Nie wieder sehen? Warum denn? Selbst wenn ich von morgens bis abends arbeiten würde - was, wie du siehst, nicht der Fall ist - hättest du mich doch noch im Winter gesehen.« Richard löste sich aus der Umarmung und streckte die Arme nach William Henry aus, der unsicher auf ihn zugelaufen kam, gefolgt von Peg, die Richard mit einem entschuldigenden Lächeln und einem Kuss auf die Lippen begrüßte. Anschließend setzte Richard sich zu James Thistlethwaite an den Tisch. Seine Welt, so kam es ihm vor, war wieder in Ordnung. Die Kluft war verschwunden.
Er nippte an dem Bier, das Dick vor ihn hinstellte. Er mochte den leicht bitteren Geschmack, war aber nicht danach süchtig. Als Sohn eines nur mäßig trinkenden Gastwirts trank er selbst nur wenig. Er trank nur Bier und niemals so viel, dass er den Alkohol spürte. Auch das schätzte Tomas Habitas an Richard. Die Arbeit verlangte ruhige, geschickte Hände und sehr viel Konzentration, und Männer, die wenig tranken, waren selten. Die meisten tranken zu viel, und dann meist Rum oder Gin. Für drei Pennys bekam man ein halbes Pint Rum oder, je nach Qualität, sogar ein ganzes Pint Gin. Es gab keine Gesetze gegen übermäßiges Trinken, dafür Gesetze für fast jede andere Verfehlung. Der Staat verdiente viel zu viel an der Branntweinsteuer, um gegen das Trinken vorzugehen.
In Bristol wurde mehr Rum erzeugt und verbraucht als Gin. Gin war ein Getränk für die Ärmsten der Armen. Bristol als wichtigster Zuckerimporthafen der Britischen Inseln war fast zwangsläufig die Hauptstadt des Rums. Was den Alkoholgehalt betraf, unterschieden sich die beiden Getränke kaum, doch war Rum schwerer. Er blieb länger im Kreislauf und war am Morgen danach leichter zu verkraften.
Mr Thistlethwaite trank nur allerbesten Rum. Das Cooper’s Arms hatte er zu seiner zweiten Wohnstube gemacht, weil Dick
Morgan seinen Rum bei Thomas Cave in Redcliff kaufte.
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