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Insel der Verlorenen Roman

Titel: Insel der Verlorenen Roman
Autoren: Colleen McCullough
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»Vater, gib mir ein Bier und Jem ein Glas von Caves bestem Rum.«
    Dick gehorchte.
    »Also, was ist los?«, fragte Richard.
    »Ich habe die Nase voll, Richard, das ist alles. Meine Zeit hier ist abgelaufen. Wen kann ich noch verspotten? Den alten Bischof Newton? Wie kann ich das, wenn er so geistreich ist, den Methodismus einen entarteten Papismus zu nennen? Nein, ich habe hier meine Pfeile verschossen und will mich nach saftigeren Weiden umsehen. Ich gehe nach London.«
    Wie sagt man taktvoll, dass ein Licht, das in Bristol strahlend hell leuchtet, in einer zwanzigmal größeren Stadt womöglich im Nebel verschwindet?, überlegte Richard. »London ist eine furchtbar große Stadt«, sagte er.
    »Ich habe dort Freunde«, erwiderte Mr Thistlethwaite. »Du bist fest entschlossen?«
    »Fest.«
    »Dann trinke ich auf deine Zukunft und Gesundheit, Jem«, sagte Dick. Er hatte sich wieder etwas gefasst und grinste. »Wenigstens spare ich dann das Geld für Schreibfedern und Tinte.«
    »Wirst du uns auch schreiben, wie es dir geht?«, fragte Richard etwas später, als sich Mr Thistlethwaites wilde Entschlossenheit bereits in weinerliches Selbstmitleid verwandelt hatte.
    »Wenn ihr mir auch schreibt.« Der Barde von Bristol schnaubte und wischte sich eine Träne ab.
    Später am Abend setzte Richard sich William Henry mit dem Gesicht zu ihm auf den Schoß. Der Zweieinhalbjährige war kräftig
gebaut und groß für sein Alter und hatte, jedenfalls nach Meinung seines Vaters, das Gesicht eines strengen Engels. Was natürlich vor allem an seinen Augen lag. Sie waren groß und einzigartig, wirklich einzigartig. Niemand konnte sich erinnern, je eine solche bier- und pfefferfarbene Mischung gesehen zu haben. Und dazu kamen die ebenmäßigen Glieder und die makellose Haut. Überall drehten die Leute sich nach dem Jungen um und bewunderten seine Schönheit. Alle, nicht nur der Vater, waren entzückt.
    »Mr Thistlethwaite geht fort«, sagte Richard zu seinem Sohn.
    »Fort?«
    »Ja, nach London. Wir werden ihn nicht mehr oft sehen, vielleicht sogar überhaupt nicht mehr, William Henry.«
    Die Augen des Jungen füllten sich nicht mit Tränen, aber ihr Ausdruck veränderte sich auf eine Weise, die, wie Richard inzwischen wusste, inneren Kummer anzeigte. »Mag er uns nicht mehr, Papa?«
    »Doch, aber er braucht mehr Platz, als er in Bristol finden kann. Das hat nichts mit uns zu tun.«
    Peg hörte den beiden zu, doch war sie dabei mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt, Gedanken, die nicht weniger verborgen abliefen als die des kleinen William Henry. Nach der Auflehnung gegen Richards Recht, sie zu berühren, hatte Peg zu ehelichem Gehorsam zurückgefunden. Wenn Richard merkte, dass sie nicht mehr so leidenschaftlich auf seine Zärtlichkeiten reagierte wie früher, sagte er jedenfalls nichts. Sie liebte ihn auch gar nicht weniger. Ihr emotionaler Rückzug lag in ihren Schuldgefühlen begründet, in ihrer Unfruchtbarkeit. Denn ihr Schoß war ausgetrocknet und leer, unfähig zu empfangen. Dabei war sie mit einem Mann verheiratet, der seine Kinder fast zu sehr liebte, der eigentlich viele Kinder gebraucht hätte, damit er William Henry nicht mit seiner Zuneigung erstickte.
    »Liebster«, sagte sie zu Richard, als sie im Bett lagen. Vom Vorderzimmer kam monotones Schnarchen, der kleine William Henry atmete tief und gleichmäßig. »Ich fürchte, dass ich nie wieder schwanger werden kann.« Endlich war es heraus.
    »Hast du mit Vetter James, dem Apotheker, gesprochen?«
    »Das brauche ich gar nicht, und er wüsste auch gar nicht, was
er sagen sollte. Gott hat mich so erschaffen, ich weiß einfach, dass es so ist.«
    Richard sah sie überrascht an. »Gut, wir haben William Henry.«
    »Ich weiß. Und er ist gesund, kerngesund sogar.« Sie setzte sich im Bett auf. »Aber Richard, genau darüber möchte ich mit dir sprechen.«
    Richard setzte sich ebenfalls auf und schlang die Arme um die Knie. »Dann sprich, Peg.«
    »Ich will nicht nach Clifton ziehen.«
    Er lehnte zur Seite und zündete mit etwas Zunder eine Kerze an, sodass er ihr Gesicht sehen konnte. Es war rund, von sanfter Schönheit, aber jetzt von Angst gezeichnet. Die großen braunen Augen blickten ihn gequält an. »Aber wir müssen nach Clifton ziehen, Peg, unserem Kind zuliebe!«
    Sie presste die Hände fest zusammen, und plötzlich ähnelte sie ihrem Sohn - unfähig, die richtigen Worte für ihre Gefühle zu finden. »Auch ich denke an William Henry. Ich weiß, du hast genug Geld
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