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Insel der Verlorenen Roman

Titel: Insel der Verlorenen Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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hatte er den Eindruck, dass sie seit damals etwas weniger Angst vor Richard hatte, was sicherlich mit dem Goldkettchen zusammenhing, das sie niemals ablegte - wie Frauen für solchen Flitterkram schwärmten! Aber der Mann ihrer Träume war leider nicht Richard, sondern er, Stephen, das war unverkennbar. Und er hatte dafür keine Erklärung, obwohl er um seine Wirkung auf Frauen wusste. Wahrscheinlich, so sagte er sich, umgibt mich eine Aura des Unerreichbaren. Frauen wollen immer das, was sie nicht kriegen können.
Kitty hat noch nicht begriffen, dass sie nur mit dem Finger zu schnipsen braucht, und Richard gehört ihr.
    Was sollte er tun? Wie konnte er sie dazu bringen, Richard zu lieben?
    Tobias, der zusammengerollt in seinem Schoß lag, erhob sich, streckte die Glieder und legte sich wieder hin. Ein orangefarbenes Knäuel mit großen Tatzen, das eines Tages ein Löwe zu werden versprach. Was für einen Kater hatte ihm Olivia da geschenkt! Ungemein klug, raffiniert, zäh, störrisch und unwiderstehlich charmant, wenn er verhätschelt und gestreichelt werden wollte. Was für Nachkommen hätte er zeugen können! Doch Stephen wollte lieber einen Kater, der neben ihm in der Hängematte döste, statt auf der Suche nach sexuellen Eroberungen draußen herumzustreunen, und so hatte er ihn ohne Bedenken kastrieren lassen.
    Die Antwort auf sein Dilemma fand er erst, als die Supply im Mai nach Sydney segelte. Mai 1791! Wie die Zeit verging! Fünf Jahre kannte er Richard Morgan nun schon.
    Stephen war zum Landvermessen eingeteilt worden, da er über Grundkenntnisse auf diesem Gebiet verfügte. Diejenigen, die mit der Supply nach Norfolk Island zurückgekehrt waren, brannten darauf, ihr Land in Besitz zu nehmen, und Major Ross wollte sie schnellstens aus der Stadt haben. Den Seeleuten von der Sirius traute Stephen zu, alle Schwierigkeiten zu meistern, doch der Eifer der Seesoldaten hielt sich in Grenzen. Männer wie Elias Bishop und Joseph McCaldren, notorische Unruhestifter, verfolgten nur das eine Ziel, Land zu ergattern, um es später zu verkaufen. Und wenn sie aus Norfolk Island alles herausgeholt hatten, was herauszuholen war, würden sie nach Port Jackson zurückkehren, dort eine Parzelle beantragen und abermals verkaufen. Sie wollten hartes Geld, keine harte Arbeit. Und in der Zwischenzeit lümmelten sie in Sydney Town herum und säten Zwietracht unter jenen Seesoldaten, deren Dienstzeit noch nicht zu Ende war. Armer Major Ross! In Port Jackson und England ließ man keine Gelegenheit aus, ihm das Leben schwer zu machen. Denunzianten wie George Johnston und John Hunter, von dem übergeschnappten Bradley ganz zu schweigen, würden bei Gouverneur Phillip ein offenes Ohr
finden und dafür Sorge tragen, dass Ross für seine Arbeit wenig Dank erntete. Stephen achtete ihn ebenso wie Richard, und aus denselben Gründen. Ross stand vor einer nahezu unlösbaren Aufgabe, doch ging er beherzt zu Werke, ohne jemand zu bevorzugen. So jemand machte sich immer Feinde.
    »Das Dumme ist«, sagte Stephen zu Richard bei Brathuhn mit Reis, den Kitty mit Salbei, Zwiebeln und Pfeffer gewürzt hatte, »dass man beim Landvermessen Sichtverbindung braucht, aber Norfolk Island besteht fast nur aus dichtem Wald. Ein Baum sieht wie der andere aus. In offenem Gelände kann ich vermessen, aber viele Parzellen sind bewaldet.«
    Kitty unterbrach ihn. »Schmeckt’s?«, fragte sie besorgt.
    »Köstlich«, antwortete Stephen, der sie lieber gekränkt als gelobt hätte, es aus Anstand aber nicht über sich brachte. »Eine willkommene Abwechslung zu den ewigen Vögeln vom Mount Pitt! Zugegeben, sie helfen uns Pökelfleisch sparen, und zugegeben, der Pessimismus des Majors ist begründet - wir werden in Zukunft viele Mäuler zu stopfen haben. Aber ich muss gestehen, dass mir fast übel wurde, als ich hörte, die Vögel seien in unverminderter Zahl zum Nisten auf die Insel zurückgekehrt. Andererseits«, fügte er ausdruckslos hinzu, »hat Tobias eine Schwäche für die Vögel.«
    »Meine Güte, ich dachte, es sei verboten, sie an Haustiere zu verfüttern«, rief Kitty erschrocken. »Bringen Sie sich bitte nicht in Schwierigkeiten, Stephen!«
    Richard schlüpfte wieder in seine Übervaterrolle. »Wie man mit den Vögeln umgeht, ist eine Schande«, sagte er gewichtig, »Stephen braucht gar keine zu fangen, um Tobias zu füttern, Kitty. Er braucht nur die Kadaver einzusammeln, die überall am Wegrand liegen. Gewisse Leute rauben den armen Vogelmüttern die Eier

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