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Insel der Verlorenen Roman

Titel: Insel der Verlorenen Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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Mädchen. Komm, setzen wir uns auf den Felsen dort drüben und genießen die Aussicht auf die Inseln. Der Wind wird unsere Worte verwehen.«
    »Ich bin wirklich ein Kind«, sagte sie traurig.
    »Ja, und das erstaunt mich am meisten«, sagte Stephen. »Du warst im London Newgate, auf der Lady Juliana und auf der Surprize , aber alles scheint spurlos an dir vorübergegangen zu sein. Und das kann nicht sein, Kitty.«
    »Natürlich nicht. Aber es gab andere wie mich, müssen Sie wissen. Wenn wir nicht vor Scham gestorben sind, dann nur, weil wir uns versteckt haben. Unter so vielen Menschen ist das gar nicht so schwer, wie Sie vielleicht meinen. Die Männer stritten, spuckten, brüllten, jagten Frauen. Sie stiegen über uns hinweg, als seien wir überhaupt nicht vorhanden. Alle waren betrunken oder hinter jemand her, den sie bestehlen, ficken oder verprügeln konnten. Wir waren abgemagert, hässlich, und wir besaßen nichts. Uns nachzustellen lohnte sich nicht.«
    »Also hast du dich wie ein Igel zusammengerollt.« Stephen sah zu den Tannen auf Nepean Island hinüber. »Und das einzige Wort, das du für den Liebesakt kennst, ist ›ficken‹. Das ist das Traurigste von allem. Hast du Leute dabei gesehen?«
    »Nicht richtig. Nur Rammeleien in Kleidern. Wir machten immer die Augen zu, wenn wir begriffen, was neben uns vorging.«
    »Das ist auch eine Möglichkeit, die Welt von sich fern zu halten.
    Wie war es auf der Lady Juliana ? Gab es da keine gemeinen Frauen, die euch piesacken wollten?«
    »Doch, aber Mr Nicol war sehr gut zu uns, und ein paar ältere Frauen auch. Sie ließen es nicht zu. Außerdem war ich ständig seekrank.«
    »Ein Wunder, dass du noch lebst. Aber du hast alles überstanden
und bist hier gelandet, und ausgerechnet bei Richard Morgan. Das ist das Bemerkenswerteste von allem. Ich kenne nicht wenige, die dich darum beneiden.« Stephen wandte den Kopf und lachte sie an.
    Wie seltsam. Seine Augen waren noch blauer als Richards Augen, so blau, dass sich der Himmel darin spiegelte. Sie waren nicht wie Wasser, das einen verschlang, sondern wie eine Mauer, gegen die man stieß.
    »Ich bin nicht mehr in Sie verliebt«, sagte Kitty verwundert.
    »Aber in Richard.«
    »Nein, ich glaube nicht. Da ist etwas, aber Liebe ist es nicht. Ich weiß nur, dass es etwas anderes ist. Bitte, erzählen Sie mir von ihm.«
    »Nein, das werde ich nicht tun. Du musst schon bei ihm bleiben und selbst herausfinden, was du wissen willst. Bei einem wortkargen Mann wie Richard kein leichtes Unterfangen, aber du bist eine Frau, und du bist neugierig.« Er half ihr auf. »Ich bin mir sicher, dass du dir alle Mühe geben wirst.« Er beugte sich vor und flüsterte ihr ins Ohr: »Wenn du etwas herausgefunden hast, sag es mir auch.«
    Tränen traten ihr in die Augen, und sie wusste nicht, warum, nur dass sie mit einem Mal sehr traurig war. Nicht seinetwegen, nicht weil sie ihn nicht mehr liebte. Ach, dachte sie, warum ist das Leben so kompliziert. Ich liebe diesen Mann nicht, aber ich habe ihn von Herzen gern.
    »Tobias und ich«, sagte Stephen, ergriff ihre Hand und schwang sie im Gehen, »werden großartige Onkel abgeben.«
    Als sie das Ende von Arthur’s Vale erreichten, ließ er ihre Hand los und blieb stehen. »Weiter komme ich nicht mit.«
    »Bitte begleiten Sie mich.«
    »Nein. Du musst allein gehen.«
     
    Das Haus war leer. Richard war ausgegangen, doch im Kamin stapelten sich frische Scheite, die Wassereimer waren gefüllt, und vier der sechs Stühle standen ordentlich am Tisch. Kitty war enttäuscht und verwirrt. Warum hatte er nicht gewartet? War er denn nicht
neugierig, was Stephen zu ihr gesagt hatte? Sie irrte durchs Haus, dann ging sie hinaus in den Garten und begann in der Hoffnung, irgendwann Blumen ziehen zu können, ein Beet umzugraben. Zeit verstrich. John Lawrell kam mit sechs Mount-Pitt-Vögeln, alle bereits gerupft und ausgenommen. Nun, da der Winter nahte, nahmen sie mittags die Hauptmahlzeit ein.
    Kitty briet die Vögel in der Pfanne an, und als Richard zurückkehrte, schmurgelten sie, mit Kräuterbrot gefüllt, nebst Kartoffeln und Zwiebeln in einem geschlossenen Topf.
    »Was«, fragte sie, nur um etwas zu sagen, »sind das eigentlich für kleine grüne Bäume an der sonnigen Stelle vor dem Abtritt?«
    »Sie sind dir aufgefallen?«
    »Schon längst, ich habe nur vergessen zu fragen.«
    »Orangen und Zitronen. Ich habe die Samen aus Rio de Janeiro mitgebracht. In zwei, drei Jahren werden sie Früchte tragen.

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