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Insel der Verlorenen Roman

Titel: Insel der Verlorenen Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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ihr mit Sympathie, aber nicht mit Liebe. Beschrieb ihre Figur mit derselben distanzierten Bewunderung, die sie selbst für Richard empfand. Der sie angeblich liebte, wie Stephen behauptet hatte. Aber Richard könnte ihr Vater sein! Er hatte es selbst gesagt. Kitty
sank auf die Knie, aber sie weinte nicht. Sie wollte sterben, nur noch sterben …
    Richard kniete sich neben sie. »Hast du gelauscht?«
    »Ja.«
    »Nun ja, besser, du erfährst es auf diese Weise als von meiner Frau.« Er legte ihr den Arm um die Schulter und half ihr auf. »Früher oder später musstest du es erfahren. Komm rein. Hier draußen ist es kalt.«
    Sie ließ sich ins Haus führen, dann sah sie ihn mit William Henrys Augen an. Sie war aschfahl.
    »Geh zu Bett«, sagte er mit unbewegter Miene.
    Wortlos wandte sie sich um und ging in ihr Zimmer. Er hatte Recht, es war kalt. Zitternd zog sie ihr Nachthemd an und kroch unter die warme Decke.
    Sie hatte nicht mehr den Wunsch zu sterben. Und wie sie feststellte, war sie auch nicht so erschüttert, dass keine Aussicht auf Trost bestanden hätte. Dass Stephen sie nicht liebte, tat weh, aber sie hatte sich ohnehin nie ernste Hoffnungen gemacht. Die Enttäuschung war also nicht neu. Ihr Kummer verflüchtigte sich und machte weiteren Fragen Platz. Vielleicht, so sagte sie sich, bin ich ja klug genug, um eine Lehre daraus zu ziehen, auch wenn ich nicht recht weiß, worin sie bestehen soll. Ich weiß nur, dass ich mich mein Leben lang versteckt habe, und ich kann mich nicht länger verstecken. Wer sich versteckt, wird nicht wahrgenommen. Mit dieser Erkenntnis schlief sie ein.
    Als sie am nächsten Morgen erwachte, war Richard fort. Das Geschirr war abgespült, die Kochstelle blitzsauber. Der Wasserkessel dampfte, im Kamin glomm ein Feuer, und auf dem Tisch stand ein Teller mit kaltem Huhn und Reis.
    Sie brühte Tee auf, setzte sich an den Tisch und dachte, während sie im Essen stocherte, über den gestrigen Abend nach. Sie erinnerte sich noch genau an jedes Wort, doch ihre Erregung war verflogen.
    Richard trat ein und lächelte sie unbefangen an. Wie immer. Als sei nichts geschehen. »Schönes Wetter draußen«, sagte er.
    Die Bemerkung war ein Wink, dessen Bedeutung sie erriet. Er
wünschte keine Unterhaltung über den gestrigen Abend. Und so erwiderte sie mit matter Stimme: »Keine Arbeit?«
    »Heute ist Samstag.«
    »Ach ja, natürlich. Tee?«
    »Gern.«
    Sie goss ihm einen Becher voll und kühlte den Tee mit kaltem Sirup, dann nahm sie wieder Platz und stocherte weiter im Essen. Schließlich knallte sie den Löffel auf den Zinnteller und funkelte ihn an. »Wenn ich mit Ihnen nicht sprechen kann«, platzte sie heraus, »mit wem dann?«
    »Vielleicht mit Stephen«, sagte er und schlürfte genüsslich. »Der kann einem ein Ohr abschwätzen.«
    »Ich verstehe Sie nicht!«
    »Doch, Kitty. Dich selber verstehst du nicht, und ist das ein Wunder? Du bist noch so jung.«
    Sie sah ihm über den Tisch hinweg direkt in die Augen, was sie nie zuvor gewagt hatte. Es waren große Augen, blau wie das Meer hinter der Lagune an einem stürmischen Tag und tief genug, um darin zu ertrinken. Mühelos, wie es schien, zog er sie in sich hinein und trug sie fort auf einer Welle der… der… Nach Luft schnappend sprang sie auf, die Hände vor der Brust. »Wo ist Stephen?«
    »Angeln, glaube ich, am Point Hunter.«
    Sie stürzte zur Tür hinaus und rannte ins Tal, als seien Höllenhunde hinter ihr her. Erst als sie sah, dass Richard ihr nicht folgte, verlangsamte sie ihre Schritte.
    Sie wusste mittlerweile, wie man als Frau ohne Begleitung durch Sydney Town gehen konnte, ohne belästigt zu werden - man musste nur von einer Gruppe von Frauen zur nächsten rennen -, und so hatte sie sich wieder etwas gefasst und konnte sogar lächeln und winken, als sie Stephen entdeckte, der sofort seine Angelschnur einholte und ihr entgegenkam. Anscheinend wusste er noch nicht, dass sie das Gespräch zwischen ihm und Richard mitbekommen hatte. Mit dieser Möglichkeit hatte sie überhaupt nicht gerechnet. Sie hatte wie selbstverständlich angenommen, dass Richard ihm alles erzählt hatte. Sprach Richard eigentlich nie mit jemand?

    »Sie wollen heute nicht beißen«, sagte Stephen aufgeräumt. »Was führt dich zu mir? Kein Richard im Kielwasser?«
    »Ich habe gehört, was ihr gestern Abend gesprochen habt.« Kitty schluckte vernehmlich. »Ich weiß, ich hätte nicht lauschen dürfen, aber es ist nun mal geschehen. Es tut mir Leid.«
    »Böses

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