Insel hinter dem Regenbogen (German Edition)
hatte, war nicht mehr viel übrig.
„Wer sind Sie?“, wollte Gloria wissen. „Gehören Sie zu diesen Klinken putzenden Predigern, die versuchen wollen, meine Seele zu retten?“
„Wohl kaum.“ Wanda stand auf, um der alten Frau beim Hinsetzen aufs Sofa behilflich zu sein, doch Gloria stieß ihre Hand zur Seite.
„Glauben Sie, ich wüsste nicht, wo das Sofa ist?“
Wanda verstand. Diese Frau war nur noch ein Schatten der Person, die sie vor vielen Jahren gewesen war. Auf ihre eigene zornige Art versuchte sie, ein bisschen Würde zu wahren. Wanda verstand allerdings auch, warum die Alte so selten Besuch bekam.
Sie wartete eine halbe Ewigkeit, bis Gloria sich endlich auf die Couch gesetzt hatte. Dann nahm Wanda neben ihr Platz und reichte Gloria eine Geschenktüte aus der Drogerie, die sie am Abend zuvor zusammengestellt hatte. „Mein Name ist Wanda. Ich habe Ihnen ein paar Kleinigkeiten mitgebracht. Ich kann mir vorstellen, dass es für Sie nicht ganz leicht ist, hier zu leben.“
Gloria fragte nicht, warum Wanda sich darüber Gedanken machte. Sie öffnete die Geschenktüte und durchwühlte die Sachen. „Postkarten? Wozu, zur Hölle, sollte ich Postkarten brauchen?“
„Ich dachte, es gibt vielleicht jemanden, dem Sie gern schreiben würden.“
Gloria schnaubte verächtlich. Zu den anderen Dingen – einem Schokoriegel, Duschgel mit Lavendelduft, einem neuen Kamm und zwei Strumpfhosen – sagte sie nichts. Sie machte die Tüte wieder zu und stellte sie neben sich, weit entfernt von Wanda, so als hätte sie Angst, dass Wanda ihr die Tüte wieder wegnehmen könnte.
„Ich habe nichts für Sie. Wenn Sie also hier sind, weil Sie etwas von mir wollen, haben Sie Pech gehabt.“
„Das stimmt vermutlich.“ Wanda blickte sich in dem Zimmer um. Ihr Blick blieb an dem Fernseher hängen. „Funktioniert der Apparat?“
„Das Bild ist mies, aber wir können die meisten Kanäle empfangen.“
„Verfolgen Sie All My Children? “
„Und wenn?“
„Haben Sie es heute gesehen?“
„Und wenn?“
„Ich will nur wissen, ob Colby seinen geheimen Plan wieder erwähnt hat.“
Diese Frage weckte die Lebensgeister der alten Frau. Sie entspannte sich ein kleines bisschen. „Noch besser. Wir haben ihn gesehen. Den ganzen Plan.“
„Können Sie sich noch daran erinnern, was es war?“
Gloria erklärte es ihr. Wanda wollte die Folge zu Hause später selbst ansehen, da sie sie aufgenommen hatte, aber Gloria hatte eine Art Höhenflug. Sie gab Wanda eine detaillierte Beschreibung der ganzen Stunde. Wanda bereute schnell, das Thema überhaupt zur Sprache gebracht zu haben.
„Also, sind Sie in diesen Saftladen gekommen, um sich eine Zusammenfassung Ihrer Lieblingssoap anzuhören?“, fragte Gloria, als sie endlich fertig war.
„Nein, ich bin gekommen, um zu hören, was Sie über einen Mann namens Clyde Franklin wissen. Später nannte er sich dann Herb Krause.“
Gloria wirkte weder überrascht noch beunruhigt. „Aus welchem Grund?“
„Er ist im Mai gestorben. Ich bin eine seiner Nachbarinnen. Wir versuchen seitdem, seine Familie zu finden, um ihr Bescheid zu sagen und zu schauen, ob sie vielleicht einige seiner Sachen behalten möchte.“
Jetzt war Glorias Interesse geweckt. „Hatte er denn gute Sachen? Irgendetwas, das irgendjemand haben wollen würde?“
„Nur Erinnerungsstücke. Nichts von Wert.“
„Keine Überraschung. Herb hatte nie viel Tatendrang.“
Gloria Madsens eigener Tatendrang hatte sie an diesen Ort gebracht, aber Belehrungen standen nicht auf Wandas To-do-Liste.
„Haben Sie ihn eher als Herb gekannt?“, fragte sie stattdessen.
„So denke ich an ihn. Als wir Tür an Tür lebten, hat er sich so genannt. Ich kenne es nicht anders.“
„Er hat den Namen eines toten Kriegskameraden angenommen, nicht wahr?“
„Ich habe nie besonders darauf geachtet, was er getan hat oder wie er es getan hat.“
„Würden Sie mir sagen, wie lange Sie beide zusammen waren?“
„Warum wollen Sie das wissen?“
Wanda lehnte sich zurück. „Ich glaube, es interessiert mich einfach. Er hat eine Menge aufgegeben, um mit Ihnen zusammen sein zu können, also wüsste ich gern, ob es sich ausgezahlt hat.“
Glorias Lachen klang wie das Kläffen eines alten Hundes. „Damals war ich noch ganz anders. Die Männer sind mir scharenweise nachgelaufen. Die meisten von ihnen sind aus dem Krieg heimgekehrt, als ich gerade einen Riesenbusen bekommen hatte.“ Sie deutete es mit den Händen an. Wenn ihre
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