Insel hinter dem Regenbogen (German Edition)
Ein Plüschaffe hing von einem Regal, auf dem ein gerahmtes Foto von Elvis stand – bevor er fett wurde. Der King war umgeben von kleineren Fotografien ihrer Kinder und Enkelkinder. Elvis und der Affe brachten sie ebenfalls zum Lächeln, und ein Blick auf ihre Enkel gab ihr das Gefühl, innerlich zu strahlen.
Sie stand auf, um die Bambusjalousien an den Fenstern herunterzuziehen, und spulte die Kassette im Videorekorder zurück. Im nächsten Moment war sie in die Geschehnisse der aktuellen Folge von All My Children eingetaucht. In einunddreißig Jahren hatte sie nicht eine Folge AMC verpasst. An dem Tag, an dem das geschehen würde, würde etwas Furchtbares passieren. Sie wusste nicht, warum oder wie, aber sie wusste es. Doch das war eigentlich egal, denn das würde niemals geschehen. Sie hatte zwei Videorekorder, mit denen sie die Soap aufzeichnete – für den Fall, dass einer der beiden ausfiel, was Videorekorder ja gern mal taten, wenn man sie ließ. Sie hatte sich von Ken zu ihrem Geburtstag einen dieser schicken Festplattenrekorder gewünscht, doch Ken hatte den Geburtstag vergessen und erst recht das Geschenk. Egal. Wenn sie hier auszog und eine eigene Wohnung hatte, würde sie sich ein solches Gerät kaufen. Bis dahin war es eine Sache weniger, um die sie sich bei der Scheidung streiten mussten.
Als die Episode zu Ende war, fühlte sie sich noch schlechter. Julia hatte sich erschießen lassen! Wanda konnte es nicht glauben, obwohl sie es soeben mit eigenen Augen gesehen hatte. Dann hatte sie sämtliche lebenserhaltende Maßnahmen verweigert und war gestorben. Einfach so. Aus der Soap geschrieben. Wanda fühlte sich, als hätte sie eine Freundin verloren. Und es sah tatsächlich so aus, als wäre der gute alte Tad der Nächste.
So konnte es nicht weitergehen. Sie schaltete den Videorekorder aus und spulte das Band zurück, um es für den nächsten Tag vorzubereiten. Und währenddessen fragte sie sich, warum sie sich so schlecht fühlte. Sosehr sie es auch hasste, es zugeben zu müssen, aber der Grund war eindeutig. Sie hatte sich von Miss „Zicke“ Deloche verunsichern lassen, und sie hatte nichts dagegen unternommen. Sie hatte gehofft, es würde reichen, wenn sie zugab, dass sie sich in der vergangenen Nacht nicht im besten Licht gezeigt hatte. Doch jetzt wusste sie, dass ein Klaps auf die Hand eben nicht genügen würde.
Sie zog die Jalousien wieder hoch und starrte aus dem Fenster. Sie glaubte fest daran, dass es wichtig war, Dinge wiedergutzumachen. Im Laufe der Jahre hatten genügend Alkoholiker ihr dieses Prinzip erklärt, während sie bei ihr ein Wasser mit einer Zitronenscheibe bestellt hatten. Das war etwas, das sie auf ihren Treffen lernten, wenn sie versuchten, wieder nüchtern zu werden. Wenn jemand etwas vermasselte, musste er es irgendwie bereinigen.
Dabei machte sie sich gar nicht so viele Gedanken wegen der Deloche. Eine Vermieterin konnte es vertragen, wenn man sie etwas rauer anpackte. Manchmal musste man jemanden schütteln, um ihn zur Besinnung zu bringen. Das war so wie mit dem Salz für Hühnchen oder Klöße. Man wusste nie, wie viel nötig war. Man musste erst ein bisschen hinzugeben, dann etwas mehr probieren – so lange, bis es perfekt war. Am Ende ging es allen Beteiligten besser, weil man es getan hatte.
Doch all das war keine Entschuldigung dafür, warum sie den alten Herb so im Stich ließ. Er war ein netter alter Mann gewesen und hatte niemandem je etwas zuleide getan. Sie hätte netter sein können. Und jetzt, da sie die Möglichkeit hatte, etwas wiedergutzumachen, machte sie einfach einen Rückzieher. Sie war sich nicht sicher, was sie tun konnte – das war offen –, doch sie sollte es zumindest versuchen. Schuld war eine schwere Last, die ein Mensch tragen musste. Sie trug schon so genug Gewicht mit sich herum, wenn man bedachte, dass sie all den Kuchen, den sie heutzutage buk, ganz allein und ohne Kens Hilfe aufessen musste.
Ruhelos ging sie in die Küche und holte sich ein Glas mit Eiswasser. Vom Küchenfenster aus sah sie eine Bewegung in Herbs Haus. Ohne noch mehr Zeit zu verschwenden, indem sie nachgrübelte, ging sie nach draußen und die Straße hinauf, um zu sehen, was bei Herb los war. Als sie näher kam, erblickte sie die indische Frau mit dem komischen Namen, die sich bedächtig zwischen Herbs Pflanzen bewegte. Wanda war schon fast beim Haus, als ihr klar wurde, was die Frau dort machte.
„Na, das ist mal eine gute Idee“, rief sie, als sie durch das
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