Insel hinter dem Regenbogen (German Edition)
wütend, aber dennoch lagen Spannungen in der Luft. Um die Situation etwas zu entschärfen, nahm sie wieder die Akten in die Hand und reichte sie Wanda.
„Wenn Sie diese hier durchsehen würden, schaue ich im Schreibtisch nach. Anschließend gucke ich mal, ob ich etwas in dem großen Aktenschrank finden kann. Tracy, Sie könnten mit der obersten Kiste im Schrank beginnen. Die Kiste war nicht verschlossen. Vielleicht hat er sie erst kürzlich benutzt.“
„Sie sind von Natur aus gut organisiert, oder?“, bemerkte Wanda. „Wohin ich auch blicke, sagt jemand aus Indien mir, wie ich was zu tun habe. Ich habe gestern wegen meines Handys eine Service-Hotline angerufen, und im nächsten Moment wurde ich mit jemandem aus Bangalore verbunden.“
Janya vermutete, dass sie sich geehrt fühlen sollte. „Indien ist riesig. Ich könnte Ihr Handy nicht reparieren.“
„Oh, ich bin mir sicher, dass Sie auch viel hübscher sind als er.“ Mit den Akten unterm Arm ging Wanda hinaus.
„Ich nehme mir die Kiste“, erklärte Tracy und verschwand.
Zwanzig Minuten später gesellte sich Janya zu den beiden ins Wohnzimmer. Wanda saß auf dem Sofa, und Tracy hatte einen großen Sessel mit Beschlag belegt. Sie kam gerade rechtzeitig, um ein Glas Cola zu bekommen, das mit vielen Eiswürfeln aufgefüllt war. Alice reichte jeder der Frauen ein Getränk und wies dann auf den letzten freien Sessel, als wollte sie, dass Janya sich hineinsetzte.
„Wie sieht der Kühlschrank aus?“, erkundigte Tracy sich.
„Frei von allem …“ Sie verstummte.
„Von allem, was verderben könnte?“
Alice nickte. „Jetzt muss ich gehen. Lee kommt gleich nach Hause.“
„Wie läuft sein Wagen in letzter Zeit?“
Alice wirkte verwirrt. „Er fährt damit.“
„Tja, ich bin froh, dass er ihn reparieren lassen konnte.“ Tracy stellte die Kiste zur Seite und erhob sich. „Danke noch mal, dass Sie gekommen sind, Alice.“
„Lee war weg.“ Sie nickte den anderen zu. Dann ging sie langsam hinaus.
„Sie ist süß wie ein Streuselkuchen, aber ganz ehrlich: Die Dame ist nicht mehr ganz auf der Höhe“, sagte Wanda.
„Kurz bevor ihre Tochter starb, hatte Alice einen Schlaganfall. Zusammen mit dem Stress bin ich mir sicher, dass das letzte Jahr für sie sehr schwer war. Vielleicht holt sie gerade alles wieder auf“, sagte Tracy.
Wanda blickte von den Akten auf. „Woher wissen Sie so viel über sie? Hat sie Ihnen das erzählt? Sind Sie mit einem Mal die mitfühlende Vermieterin?“
„Lee hat es mir gesagt.“
„Unterhalten Sie beide sich oft?“
Tracy machte den Deckel der Kiste wieder zu und stellte sie auf den Boden. „Wenn es darum geht, sich mit Männern zu unterhalten, bin ich leider ein bisschen aus der Übung – das habe ich schon lange nicht mehr gemacht. Offensichtlich muss ich noch eine Menge lernen.“
„Da wäre vielleicht ein Job für Sie drin. Damit könnten Sie einige Reparaturen an meinem Haus bezahlen.“
Janya sah, wie die beiden sich anfunkelten. Es schien ihr angebracht, das Thema zu wechseln, obwohl sie nicht genau wusste, warum. „Hat eine von Ihnen schon irgendetwas gefunden?“
„Worüber denn?“, versetzte Tracy knapp. Dann schien ihr klar zu werden, dass sie der falschen Person gegenüber unverschämt geworden war. „Oh, Sie meinen über Herb. Bis jetzt nicht. Ich glaube, er hat jeden Artikel übers Angeln abgeheftet, der je im Sun County Sentinel erschienen ist. Braucht eine von Ihnen Informationen über Köder oder die Gezeiten?“
„Er ist jeden Morgen an die Spitze der Insel gegangen und hat am Strand geangelt“, sagte Wanda. „Ich habe nie gesehen, dass er etwas gefangen hat.“
„Ich glaube, wir können das wegwerfen. Das sind nicht gerade Erinnerungsstücke für die Familie.“ Tracy stand auf und schob die Kiste zur Seite. „Ich hole den nächsten Karton.“
„Tja, hier ist etwas“, erklärte Wanda, ehe Tracy gehen konnte. „Herbs Geburtsurkunde.“
„Echt? Lassen Sie mal sehen.“ Wanda hielt sie ihr entgegen, und Tracy ergriff sie. „Herbert Lowe Krause. Geboren in Montgomery, Alabama, am 22. Juni 1920. Dann war er …“ Tracy streckte einen Finger nach dem anderen aus, als würde sie die Jahre abzählen. „… fast achtundachtzig. Er hatte ein langes, erfülltes Leben.“
„So ein Pech, dass diese Urkunden nicht mit den aktuellen Informationen ergänzt werden. Ehen. Kinder. Solche Dinge. Das hätte es einfacher gemacht.“
„In welcher Akte lag die Urkunde?“, fragte
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