Insel meines Herzens
beitraten. Und dann änderte sich ihre Gesinnung, weil sie merkten, auf die sanfte Tour würden sie nichts ändern.«
»Wir alle waren enttäuscht, Polonus, und wir wünschten uns schnellere Reformen. Aber das ist keine Entschuldigung für das Verbrechen dieser Leute. Großer Gott, sie haben mitgeholfen, Menschen zu töten !«
»Hätte der Vanax nicht so halsstarrig auf seinem Standpunkt beharrt, wäre das nie passiert. Den Tod der acht Männer hat er genauso verschuldet wie unsere Freunde.«
Durfte sie ihren Ohren trauen? Entgeistert wandte sie sich zu ihrem Bruder. »Das meinst du nicht ernst, oder?«
»Aber es stimmt. Siehst du das nicht ein? Hätte Atreus die Forderungen der Helios-Mitglieder erfüllt, wäre niemand zu so verzweifelten Maßnahmen getrieben worden.«
»Und weil sie nicht warten konnten, mussten sie ihre Mitbürger ermorden? Glauben sie, Atreus hätte sofort auf ihre Vorschläge eingehen müssen? Und weil er sich ihrem Ansinnen widersetzte, war es ihr gutes Recht, Blut zu vergießen?«
»Natürlich nicht, das habe ich keineswegs behauptet. Selbst wenn einige der getöteten Männer zu den Anhängern des Vanax zählten, war es falsch, sie umzubringen.«
Hatte sich eine Wolke vor die Sonne geschoben? Plötzlich fröstelte Brianna. »Und der Versuch, Atreus zu ermorden? Begreifst du, wie falsch das war, Polonus?«
»Jedenfalls ist mir eins klar – er steht allen Hoffnungen auf Reformen im Weg.«
In den nächsten Minuten kannte Brianna nur einen einzigen Gedanken. Was hatte Polonus soeben gesagt? Welche ungeheuerliche Andeutung... Atreus sollte sterben. Zumindest war sein Tod akzeptabel.
Daran glaubte ihr Bruder. Ihr eigener Bruder...
Wie aus weiter Ferne hörte sie Atreus verkünden, die Beweisaufnahme sei abgeschlossen und die Verhandlung auf den nächsten Morgen vertagt. Die vier Angeklagten wurden abgeführt, langsam begann sich die Menge zu zerstreuen. Polonus stand auf und erwartete, sie würde seinem Beispiel folgen. Doch sie konnte sich nicht dazu durchringen, ihn zu begleiten.
»Ich bleibe noch hier.«
»Tu das lieber nicht, Bri. Sonst sieht es so aus, als würdest du dich auf die Seite unserer Gegner schlagen. Komm mit mir. Heute Abend findet eine Versammlung statt.«
»Ein Helios-Treffen?«
»Ja. Daran solltest du teilnehmen.«
Brianna schaute zu ihm auf. Sekundenlang sah sie ihn so, wie er gewesen war – der sanftmütige Junge, ihr geliebter Bruder. Jede Art von Gewalt hatte er verabscheut. Und jetzt sprach er scheinbar ungerührt von Mord.
So begeistert hatte sie die Helios-Ideen aufgenommen, und in gewisser Weise fand sie die Forderungen immer noch berechtigt. Aber hinter ihr lag ein unheilvoller Tag, und sie musste die Ereignisse ungestört überdenken.
»Geh nur«, flüsterte sie, und irgendwie – in Erinnerung an gemeinsame Zeiten – gelang ihr ein Lächeln.
Während sie allein auf der Treppe saß, wartete sie, bis ein Großteil der Menschenmenge den Hof verlassen hatte. Dann betrat sie den Palast, um in ihr Zimmer zu gehen. Wachsende Erschöpfung erschwerte jeden einzelnen Schritt. Letzte Nacht hatte sie schlecht geschlafen – viel zu beschäftigt auf eine Art und Weise, an die sie nicht denken wollte. Und in der vorangegangenen Nacht hatte das Fest stattgefunden. Halb benommen, erkannte sie kaum, wie müde sie war.
Endlich erreichte sie ihr Zimmer. Mit letzter Kraft schlüpfte sie aus den Sandalen und sank auf ihr Bett, ohne sich zu entkleiden oder die Decke zurückzuschlagen. Sekunden später schlief sie tief und fest.
Mondschein erhellte den Raum, als Atreus eintrat. So lange wie möglich hatte er sich geduldet und überlegt, ob er hierher kommen sollte. Unschlüssigkeit war ihm völlig fremd und missfiel ihm. Ganz vorsichtig hatte er die Tür einen Spaltbreit geöffnet, hindurchgespäht und die Schwelle erst dann überquert.
Wie erwartet schlief Brianna. Bei der Gerichtsverhandlung hatte er sich mühsam beherrschen müssen, um sie nicht aufzusuchen. Ihre Anwesenheit hatte ihn überrascht und neue Hoffnung geweckt. Nun erfüllte ihn ihre sichtliche Erschöpfung und Sorge mit qualvollem Bedauern.
Er hatte ihr wehgetan. Ausgerechnet er , der Herrscher von Akora, den Gesetzen und Wertmaßstäben verpflichtet wie kein anderer, hatte eine Frau verletzt – noch dazu die Frau, die er liebte.
Hätte er doch – was getan? Hätte er ihr eine andere oder gar keine Geschichte erzählen sollen? Oder wäre es besser gewesen, vorher nicht alles zu tun, um sie an sich
Weitere Kostenlose Bücher