Inselzirkus

musste einem anderen Mörder zum Opfer gefallen sein. Jemandem, der den Club der Bösen Hühner beobachtet und dann die gute Gelegenheit genutzt hatte. Vielleicht jemandem, der ebenfalls wusste, wie man ungesehen auf das Gelände des Inselzirkus kam, wenn die Alarmanlage eingeschaltet war?
    In dem Moment, in dem sie das harte Geräusch der Klappe hörte, fiel ihr ein, dass Sandra Zielcke den Spalt zwischen der Halle und dem Zaun kannte. Hatte Fietje nicht erzählt, dass sie Bruce dabei beobachtet hatte, wie er mit einer unbekannten Frau dort eingedrungen war? Unbekannt? Mittlerweile war Mamma Carlotta davon überzeugt, dass es sich dabei um Alina Olsted gehandelt hatte. Die wollte sich natürlich nicht mit Bruce in seinem Hotel treffen, weil sie auf Sylt bekannt war. Vielleicht hatte Sandra die beiden sogar fotografiert …
    Â»Signora! Wo bleiben Sie?«
    Â»Dio mio!«
    Mit einem gewaltigen Satz sprang Mamma Carlotta vor die Tür, um die Verzögerung wettzumachen. Aber Rollo hatte schon abgewinkt, bevor sie auch nur den Mund öffnen konnte. »Sie sind nicht auf der Flucht vor dem Wirt, sondern verärgert, weil der Espresso schlecht war!« Halblaut fragte er Tanja: »Wer hat uns eigentlich diese Komparsin eingebrockt?«
    Mit einer barschen Geste wurde sie zurückgeschickt, und während sie wartete, verbat sie sich jeden Gedanken an Sandra Zielcke. Sie musste aufhören zu denken. In ihrem Kopf jagte ein Gedanke den anderen, alle fielen übereinander her, und am Ende gewann der Stärkere, aber nicht der Richtige. Sandra Zielckes Rolle war einfach nicht zu durchschauen.
    Â»Kaschemme Eingangstür, die Zweite!«
    Erschrocken machte Mamma Carlotta einen Vorwärtsschritt, stieß zum zweiten Mal während dieses Syltaufenthalts an die Türschwelle von Käptens Kajüte, erschrak wiederum und haspelte hervor: »Der Sandra … äh … der Espresso schmeckt wie …«
    Â»Aus! So kann ich nicht arbeiten!«, rief Rollo verärgert.
    Zum Glück war Sandra Zielcke in eine Unterhaltung vertieft gewesen und hatte von dem Versprecher nichts mitbekommen. Aber Mamma Carlotta sah die Enttäuschung in Toves und Fietjes Gesichtern, sah Tanjas Unzufriedenheit und spürte ihre eigene Niedergeschlagenheit wie eine Migräneattacke. Das Allerschlimmste jedoch war die Scham in Carolins Gesicht. Ihre Nonna hatte versagt! Auf ganzer Linie!
    Entschlossen machte Mamma Carlotta einen Schritt vor. »Scusi, ich kann das nicht. Aber meine Enkelin, die wäre genau richtig dafür. Ihre Mutter war un’italiana, und sie spricht sogar etwas Italienisch. Vor allem kann Carolina das R rollen, und die italienische Sprachmelodie ist ihr quasi angeboren.« Sie sah von Tanja zu Rollo und dann wieder zurück. »Carolina wird das schaffen. Ganz sicher.«
    Â»Das Alter passt nicht«, gab Tanja zu bedenken und rutschte ein wenig auf ihrem Klappstuhl hin und her.
    Â»Egal!«, rief Rollo. »Wir müssen weiterkommen!«
    Â»Also gut«, seufzte Tanja. »Aber Carolin ist noch so jung. Trinkt die schon Espresso?«
    Rollo verdrehte die Augen. »Dann soll sie eben sagen: Die Cola war lauwarm. Ist für die Szene doch total egal!«
    Â»Also gut«, sagte Tanja noch einmal und bewegte von da an wieder nur ihre Augen.
    Als Mamma Carlotta in Carolins Gesicht blickte, war die Scham daraus verschwunden. Und als sie an ihrer Nonna vorbeiging, blinzelte sie ihr sogar vergnügt zu.
    Wenige Minuten später war die Szene im Kasten und Rollo voll des Lobes für das junge Mädchen, das sofort begriffen hatte, auf welchen Tonfall es ankam. Mamma Carlotta war erleichtert. So gern sie sich den Nachbarn in ihrem Dorf auf dem Bildschirm präsentiert hätte – wenn sie mit ihrer Enkeltochter prahlen konnte, gefiel ihr das mindestens genauso gut. Und dass sie jetzt in aller Ruhe nachdenken konnte, war auch genau richtig.
    Sie fror plötzlich. Die Sonne hatte sich hinter einer großen Wolke versteckt, die sich im Nu mit anderen verband und die Hoffnung auf einen sonnigen Drehtag zunichtemachte. In Umbrien blieb jeder Tag sonnig und warm, der mit einem blauen Himmel begonnen hatte, es sei denn, ein Gewitter zog auf. Auf Sylt jedoch konnte das Wetter von einer Stunde auf die andere umschlagen, davon hatte Lucia oft gesprochen.
    Â»Gut, dass der Außendreh fast geschafft ist«, sagte Rollo und klopfte Carolin anerkennend auf