Inspector Alan Banks 05 In blindem Zorn
sagte Banks. Es war ein elegantes, kleines Café, von dem aus man einen großartigen Blick auf die öffentlichen Gärten und den Fluss hatte.
»An Werktagen hört sie gewöhnlich um drei Uhr auf, nach dem Mittagsbetrieb. Außerhalb der Saison haben sie zur Teezeit nicht geöffnet. An einem normalen Tag geht sie nach Hause, erledigt ein paar Einkäufe oder kommt oft kurz noch im Laden vorbei, um auszuhelfen.«
»Im Laden?«
»Ich besitze einen Blumenladen. Gemeinsam mit meinem Partner. Er gibt das Geld und ich führe die Geschäfte. Er ist gleich um die Ecke, in der King Street.«
»Sie sagten, an einem >normalen< Tag. War gestern kein normaler Tag?«
Sie schaute ihm direkt in die Augen, und ihr Blick gab ihm zu verstehen, wie unpassend seine Wortwahl gewesen war. Gestern war tatsächlich kein normaler Tag gewesen. Aber sie sagte einfach: »Nein. Gestern hatte sie nach der Arbeit Probe. Sie proben im Gemeindezentrum Was ihr wollt. Der Probenplan ist ziemlich gedrängt, weil der Regisseur das Stück am sechsten Januar herausbringen will. Also in der zwölften Nacht nach Weihnachten, zum Fest der Erscheinung des Herrn - und Zwölfte Nacht ist ja der alternative Titel der Komödie.«
»Um welche Zeit finden die Proben statt?«
»Gewöhnlich zwischen vier und sechs, also müsste sie so um Viertel nach sechs zu Hause gewesen sein, wenn sie sofort nach Hause gegangen ist.«
»Glauben Sie, dass sie das getan hat?«
»Oft gehen sie noch etwas trinken, aber gestern kam sie nach Hause.«
»Woher wissen Sie das?«
»Ich habe angerufen, um zu sehen, ob sie da war, und um ihr zu sagen, dass ich ein bisschen später kommen würde, weil ich noch einkaufen gehen wollte.«
»Wann war das?«
»Ungefähr um sieben.«
»Wie hat sie geklungen?«
»Gut... sie klang gut.«
»Hatte sie gestern einen besonderen Grund, nicht noch mit den anderen etwas trinken zu gehen?«
»Nein. Sie sagte nur, sie wäre müde von den Proben und sie ...«
»Ja?«
»Wir hatten beide in letzter Zeit so viel um die Ohren. Sie wollte etwas Zeit mit mir verbringen ... einen ruhigen Abend zu Hause.«
»Wo sind Sie gestern Abend gewesen?«
Veronica zeigte keine Spur Verärgerung darüber, dass sie nach einem Alibi gefragt wurde. »Um halb sechs habe ich den Laden abgeschlossen, dann bin ich zu meiner Sitzung um sechs Uhr zu Dr. Ursula Kelly, meiner Therapeutin, gegangen. Sie ist auch die von Caroline. Ihre Praxis liegt in der Kilnsey Street, gleich bei Castle Hill. Ich bin zu Fuß hingegangen. Wir haben zwar einen Wagen, aber in der Stadt benutzen wir ihn kaum. Wir nehmen ihn fast nur für längere Fahrten.« Sie trank einen Schluck. »Die Sitzung dauerte eine Stunde. Danach bin ich ins Einkaufszentrum gegangen, um ein paar Dinge zu besorgen. Vor allem Weihnachtsgeschenke.« Sie zögerte ein wenig. »Dann machte ich mich auf den Heimweg. Ich ... ich war so gegen acht Uhr hier.«
Bestimmt würde es möglich sein, ihr Alibi im Einkaufszentrum zu überprüfen, dachte Banks. Ein paar Verkäufer erinnerten sich vielleicht an sie. Andererseits war um diese Jahreszeit sehr viel los, und er bezweifelte, dass jemand sich genau daran erinnern konnte, an welchem Tag oder zu welcher Stunde er sie das letzte Mal gesehen hatte. Er konnte natürlich auch die Kassenbelege kontrollieren. Manchmal druckten die modernen elektronischen Kassen sowohl die Uhrzeit als auch das Datum des Einkaufs aus.
»Können Sie mir detailliert berichten, was von dem Moment an, wo sie gestern Abend das Zentrum verließen und nach Hause gingen, passierte und was Sie taten?«
Veronica holte tief Luft und schloss die Augen. »Ich ging nach Hause«, begann sie, »durch den Schnee. Es war ein herrlicher Abend. Ich blieb stehen und hörte eine Weile den Sternsingern auf dem Marktplatz zu. Sie sangen gerade >O, little Town of Bethlehem<. Das war schon immer eines meiner Lieblingslieder. Als ich nach Hause kam, rief ich ... ich rief hallo, aber Caroline antwortete nicht. Ich dachte mir nichts dabei. Sie hätte in der Küche gewesen sein können. Und diese Musik lief... tja, das war merkwürdig. Ich nutzte die Gelegenheit und schlich nach oben, um die Geschenke im Kleiderschrank zu verstecken. Ein paar waren für sie, das ...« Sie hielt inne, und Banks sah, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten. »Es war mir wichtig, sie ganz schnell außer Sichtweite zu bringen«, fuhr sie fort. »Ich
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